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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

das neue, von dem Inhalt Seiner ihnen vorgetragenen Lehren verschiedene Dinge gewesen. Alles, was Er noch zu sagen hatte und was sie noch nicht tragen konnten, lag schon in Christi Worten, aber eingeschloßen, noch nicht ausgelegt. Da mußte nun die Zeit des heiligen Geistes kommen, die schöne Frühlingszeit, die Zeit des Wachsens und Gedeihens. Und so wars auch. Der Geist kam, da keimten, da wuchsen, da blühten die Samenkörner JEsu, da umgab sie der heilige Geist mit dem Geruch der Erinnerung an des hohen Meisters Lehre, und die Jünger erkannten nun, daß des Geistes Wort nur Entfaltung des Wortes JEsu, nur Erinnerung daran war. Sie lernten die tief innere Einheit beider und gaben sich desto fröhlicher und völliger Seinen unbegreiflichen, unmittelbaren Lehren hin. Da lernten sie erst recht lieben und Wort halten, da wurde des Vaters Liebe in ihnen ausgegoßen und ihre Geister und Leiber zu Gottes Wohnungen ausgeschmückt. Seht nur in das reiche Leben der Apostelgeschichte hinein, da sieht man, da begreift man, wie der HErr, der heilige Geist, nach Christi Vollbringen erst recht den Segen Seines Leidens, Sterbens, Auferstehens und Seines Hingangs zum Vater verklärte; da lernt man, daß ohne des Geistes Reden und Bewegen alle Güter, die uns Christus erworben, für uns todt und nutzlos geblieben wären.


 Als nun der heilige Geist am Pfingsttage kam und Sein göttlicher Hauch JEsu Saaten für uns zum Wachstum und zur Blüte brachte, da gab es viel Bewegung und große Unruhe. Es war aber keine dauernde Unruhe, im Gegentheil, auf die Bewegung und Unruhe kam große Ruhe. Wenn man alte Gebäude einreißt und neue an deren Stelle baut, geht es freilich nicht stille her; aber wozu baut man Häuser, wenn nicht zu Ruhestätten der Menschen? Auf kurze Unruhe baldige Stille, auf die Unruhe der Erweckungen und Erregungen kommt die Pfingstgestalt des Reiches Gottes in tiefem Frieden zur Seele hinein. Die Hochzeit des Lebens, da man lieben, Wort halten, Gottes Lieb und Einwohnen faßen lernt, bringt tiefste Stille, wo man singt: „Gott, man lobet Dich in der Stille zu Zion.“ Christus spricht davon: „Den Frieden laße Ich euch. Meinen Frieden gebe Ich euch. Nicht gebe Ich euch, wie die Welt gibt, Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ − Es ist eine lebendige Stille, die es da gibt. Heilige, friedenreiche Stille webt vom Himmel zur Erde. Der Himmel wird in seiner Liebe zur Erde offenbar, das sieht man an den Wirkungen des heiligen Geistes. Stille wird im Herzen; keine Leidenschaft vermag mehr zu beunruhigen und zu betäuben und gefangen zu nehmen; die Lebenswege werden einfach und schlicht − und das Herz hat genug an dem, was der Geist wirkt. Ach welche Stille, welcher Friede, an dem, wenn nur die Seele redlich liebt, jede Anfechtung der zeitlichen, sündlichen Unruhe abprallt. − Diesen Frieden erwarb der Friedenskönig Seinen Unterthanen und ließ ihn bei Seiner Auffahrt zurück, aber zum Genuß kam Er erst in der Zeit des heiligen Geistes, da die Apostel des HErrn Sinn und Seiner Worte Deutung und Zusammenhang vernahmen und Seine, sowie die eigene Lebensaufgabe begriffen. Da hieß es nicht bloß: „Den Frieden laße Ich euch,“ da hieß es: „Meinen Frieden gebe Ich euch.“ − Und nicht wie die Welt gibt Er. Er gibt voller, beständiger, und wenn Er gegeben hat, ist kein Entreißen mehr, es bleibt ewig Friede, so daß keine Furcht und kein Schrecken mehr nöthig ist. Wer sollte nicht, wo JEsu Worte Bürgschaft leisten und der heilige Geist sie in ihrer göttlichen Fülle auslegt, wo man immer mehr JEsum lieben und die Liebe des dreieinigen Gottes faßen lernt, wo man selbst immer mehr verklärt wird in die ewige Pfingstgestalt einer erlösten, freudenreichen Seele, − wer sollte da nicht auch immer tiefer und fester im Frieden gegründet werden? Friede wirds, wo Pfingsten ist, und immer tieferer Friede. „Der Friede sei mit euch“ − das ist bei Friedenskindern der liebste, schönste Gruß, denn er drückt die tiefste Befriedigung des eigenen Innern aus, − und bringt das als Wunsch herwieder, was man selbst in der friedenlosen Welt für das eigene und für alle andern Herzen am liebsten gewünscht hat. Denn Friede, in der That, das ist in der Zeit der verständlichste, deutlichste Wunsch unsrer sehnenden, wunscherfüllten Seele.


 Pfingstgestalt der Seele im Frieden − was könnte man mehr begehren? Und doch enthält das Evangelium noch einen Beisatz. Der HErr hatte Seinen Jüngern schon vorher in Seinen letzten Reden

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/249&oldid=- (Version vom 4.9.2016)