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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

alle voll sehnsüchtiger Begier nach Seinem Tage, so viele von uns sein sind: unsre gemeinsame Begier soll zum gemeinsamen Gebete werden, − eine Gemeinschaft, eine Gemeine von Betern sollen wir sein. Hab ich euch nicht manchmal erzählt, wie die Christen der ersten Zeiten in den Osternächten wachten, wie sie diese Nächte durchbeteten in Hoffnung und Erwartung, daß der HErr in einer Osternacht kommen werde? Der HErr kann allezeit kommen, so sollten wir allezeit wachen und beten, wie die ersten Christen in der Osternacht. Und ob das Leibesauge entschliefe, die Seelen sollten, was sie ja können, wachend und betend verharren auch im Schlafe. Auch in unsern Nächten sollten wir eine betende Gemeine bleiben. Ach, ich weiß es, was ihr sagen wollet, ich weiß es wohl! Aber nehmet mein Wort auf und die Wahrheit drinnen: laßet uns beten, daß wir allezeit beten können! − Hebet eure Häupter auf gen Himmel und sehet jenseits des crystallenen Meeres, von dem St. Johannes zeuget, am Throne die Geister der vollkommenen Gerechten: sie beten, sie beten um die Zukunft des Tages der Rache, des Sieges, des ewigen Dankes! Und mit ihnen beten alle seligen Engel! Alle Auserwählten und Engel durchdringt ein und dasselbe heilige Verlangen nach dem Ende der Zeit und dem Anfang der Ewigkeit, nach dem jüngsten Tage. Und doch bedürfen die Engel den Tag nicht und die Auserwählten nicht in dem Maße, wie wir! Sie beten und wir sollten nicht beten?! Betet, betet, Brüder, laßt uns beten mit den Engeln und Auserwählten, daß der Tag erscheine!

 Auch Du betest, Hoherpriester, HErr JEsu, König, Des wir harren! Auch Du betest, daß Deine Braut bereitet, Deine Heiligen versammelt werden und der Tag Deiner Hochzeit komme! Gelobet seist Du, daß Du betest! Höre uns, HErr! Bete für uns Alle! Wenn wir nicht beten, nicht mehr beten, müde werden, nicht mehr beten können, nicht mehr beten mögen, wenn wir sterben, wenn wir zu Dir kommen, wenn Du selber kommst: ach bete allezeit für uns arme Sünder, daß wir den letzten Wehen entfliehen, daß wir würdig werden, vor Dir zu stehen und Dein Angesicht ewiglich zu sehen! Amen.




Am dritten Sonntage des Advents.

Evang. Matth. 11, 2–10.
2. Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörete, sandte er seiner Jünger zween, 3. und ließ ihm sagen: Bist Du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? 4. JEsus antwortete und sprach zu ihnen: Gehet hin und saget Johanni wieder, was ihr sehet und höret: 5. Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Todten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt. 6. Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert. 7. Da die hingiengen, fieng JEsus an zu reden zu dem Volk von Johanne, Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her wehet? 8. Oder was seid ihr hinaus gegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. 9. Oder was seid ihr hinaus gegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist denn ein Prophet. 10. Denn dieser ists, von dem geschrieben stehet: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.

 VOn der ersten Zukunft Christi, Seiner Ankunft im Fleische, und von Seiner zweiten Zukunft, der Zukunft zum Gerichte, haben die Evangelien der beiden letzten Sonntage gesprochen. Ein neuer, der dritte Sonntag des Advents, hat heute begonnen, und das Geburtsfest des HErrn kommt immer näher. Je näher

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 013. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/24&oldid=- (Version vom 31.3.2019)