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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

von der zweiten Zukunft Christi,
deren Zeichen,
Wirkung,
Gewisheit und
von unserer Vorbereitung auf sie.

 Die erste Zukunft Christi hat mit der zweiten wenig Aehnlichkeit. Jene ist von dem Dunkel Seiner Erniedrigung eingehüllt, diese strahlt von der Herrlichkeit Seiner Erhöhung. Es ist eine und dieselbe Person, welche jenesmal aus dem Mutterleibe der Jungfrau kam und welche dermaleins aus den Thoren des Himmels treten wird; auch ist es ein und dasselbe Herz voll Lieb und Recht, welches dem Herrn in der Krippe, welches Ihm bei Seinem Einzug in Jerusalem im Busen schlug und welches Ihm dereinst am Tage Seiner großen und allgemeinen Offenbarung schlagen wird. Aber Seine damalige und Seine dereinstige Erscheinung sind verschieden, wie ihre Zwecke. Damals erschien Er, um Gottes Lamm zu sein, das der Welt Sünden trüge, dann wird Er erscheinen als der Löwe Gottes aus Juda. Dort galt es Versöhnung Gottes und der Menschen durch Sein theures Blut; dann wird es die völlige Erlösung der Seinigen und die völlige Ueberwindung Seiner Feinde gelten: nicht als Opfer für die Sünde, nicht mit unsrer Sünde beladen, frei von aller Sünd und Sündenstrafe wird Er erscheinen als ein König der Welt und mit Ihm sein Lohn. Er wird kommen, wie Er aufgefahren ist, wie es die Engel am Tage Seiner Auffahrt geweißagt haben, − „in den Wolken, mit großer Kraft und Herrlichkeit,“ wie Er selbst sagt. Diese Worte unsers Textes „in den Wolken, mit großer Kraft und Herrlichkeit“ sind ziemlich unbedeutend vor Ohren, welche durch Gewohnheit taub geworden sind für ihren Sinn und Klang; aber wer sie im Zusammenhang mit alle dem nehmen kann, was die heilige Schrift von der Wiederkunft Christi spricht, deßen Auge wird vom Blick in die Wolken Seiner Zukunft, in Seine große Kraft und Herrlichkeit staunend, thränenvoll, anbetend. Und wer diese Worte recht vernommen hat, deßen Ohr wird taub für viele Eindrücke dieser Welt und Zeit, − und die Worte, die Worte tönen in ihm desto lauter fort. − Das wird ein Tag sein, wie zuvor keiner. Der stille, selige, ahnungsvolle Geburtstag Christi mit seiner verborgenen Herrlichkeit, wie sehr wird er sich von der offenbaren Kraft und Herrlichkeit des Vollendungstages Christi unterscheiden. Denken wir es uns nur, wie wirs vermögen − (denn was sind unsere Gedanken gegen jene Ereignisse!?) − Er, der mit Seiner gottmenschlichen Gegenwart alles erfüllt, wird dann gesehen werden wie ein Blitz, der vom Aufgang zum Niedergang fährt; sichtbar wird Er das Erdenrund umgeben und umweben, wie Ers jetzt unsichtbar thut. Es wird Ihn keiner auf der weiten Erde übersehen; keiner wird nöthig haben, erst von dem andern aufmerksam gemacht zu werden auf Den, der da kommt; alle Augen, die dann noch in Leibern dieses Todes leben werden, alle Augen, welche Staub geworden, werden Ihn sehen in des Himmels Wolken, wie Er kommen wird in großer Kraft und in großer Herrlichkeit. Das ist gewislich wahr!


 Die Seele wirkt auf den Leib und es ist kein Glied und Theil des Leibes, der nicht mit der Seele fühlete. So wird der HErr, der da kommen wird, auf alle Creaturen wirken und sie werden sich Seiner Wirkung nicht entziehen können. Schon vor Seiner sichtbaren Erscheinung werden sie es inne werden, daß die Zeit Seiner Zukunft vorhanden ist. Die leblose Schöpfung, welche sich Seinem allmächtigen Willen ohne Widerstand fügt, und die Menschen, welche Seinem allmächtigen Willen mit ihrem ohnmächtigen Willen entgegentreten können, beide werden von den Schrecken ergriffen werden, die Seiner Erscheinung voraneilen. Der Himmel, das Meer und auf Erden die Menschen werden Ahnungen deßen haben, das da kommen soll. Vom Himmel ist gesagt, daß Zeichen geschehen werden an Sonne, Mond und Sternen, daß seine Kräfte sich bewegen sollen. Vom Meere lesen wir, daß es mit seinen Waßerwogen brausen werde. Von der Erde heißt es, daß eine Bangigkeit und ein Verzagen, eine Furcht und ein Warten der Dinge, die da kommen sollen, die Menschen ergreifen werde, durch welches ihnen Kraft und Athem entschwinden soll: sie müßen davon verschmachten. Ob diese große furchtbare Todesangst, ob diese Wehen der letzten Stunde allein um der Dinge willen über die Menschen kommen werden, die am Himmel und am Meere geschehen sollen, oder ob abgesehen von diesen bangen Ereignissen noch eine besondere Furcht und Noth, ein unwiderstehlicher Schrecken vom HErrn

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 007. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/18&oldid=- (Version vom 14.8.2016)