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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Menschen ärger, denn vorhin. 27. Und es begab sich, da Er solches redete, erhob ein Weib im Volk die Stimme und sprach zu Ihm: Selig ist der Leib, der Dich getragen hat, und die Brüste, die Du gesogen hast. 28. Er aber sprach: Ja, selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.


 AUch dieses Evangelium erzählt uns ein Wunder JEsu und zwar, so viel wir sehen können, ein nicht geringeres, als wir in andern Evangelien finden. Ein Mensch, welcher durch Beseßenheit der Sprache beraubt war, wurde von dem HErrn seiner Plage ledig gemacht. Dieß Wunder wird jedoch von dem heiligen Lucas ganz kurz und offenbar zunächst nur um dessen willen erzählt, was sich an dasselbe anschloß. Das Wunder fand nemlich eine ungleiche Aufnahme, theils eine mehr oder minder ungünstige, theils eine günstige. Die ungünstige Aufnahme zeigte sich alsbald in den Reden des Volkes. Einige wagten es, geradezu die Behauptung aufzustellen, der HErr selber bediene sich zur Austreibung der Teufel des Obersten der Teufel, des Beelzebub; andere schwankten in ihrer Meinung hin und her und wollten es erst noch auf ein Zeichen vom Himmel ankommen laßen, ehe sie die himmlische Sendung und göttliche Kraft JEsu anerkenneten. Daß übrigens das Wunder doch auch eine günstigere Aufnahme fand, ist aus der Stimme jenes Weibes zu erkennen, welches die Jungfrau Maria um ihrer Mutterschaft willen seligpries. Von dieser gedoppelten Aufnahme des Wunders JEsu handelt unser Text hauptsächlich, und davon handle denn auch diese Predigt.


 Was die ungünstige Aufnahme des Wunders JEsu anlangt, so haben wir zu ihr auch jene unentschiedenen, schwankenden Gedanken derjenigen gerechnet, die erst noch auf Wunder und Zeichen vom Himmel warten wollten, ehe sie dem HErrn beistimmten. Diese Menschen waren nicht mit JEsu, darum waren sie schon wider Ihn; sie sammelten nicht mit Ihm, darum halfen sie schon zerstreuen, − und es trifft sie deshalb der gerechte, scharfe Tadel des HErrn. Indes werden sie doch mit wenigen Worten abgefertigt und die ganze Gewalt, der volle Nachdruck der Rede JEsu kehrt sich im Grunde nur gegen diejenigen, welche die lästerlichen Reden wagten: „Er treibt die Teufel aus durch Beelzebub.“ Darum laßen auch wir die schwankenden, zweifelnden Worte des ersten Haufens fahren und verweilen betrachtend bei der erwähnten Lästerung und deren Widerlegung. Die Worte „Er treibt die Teufel aus durch Beelzebub“ können helfen, den Beweis zu liefern, daß die Behauptung, die Sonntagsevangelien der Fastenzeit erzählten von den Leiden JEsu während Seines Amtslebens, nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Denn es ist in der That für ein nicht geringes Leiden des HErrn zu achten, daß Ihm Seine großen und vielen Wohlthaten mit Lästerreden und Hohn bezahlt wurden. Doch wollen wir nicht grade diesen Umstand hervorheben, sondern einen andern. Die Evangelien des ersten, zweiten und dritten Sonntags in der Fasten haben nemlich das miteinander gemein, daß sie von Ueberwindung des Teufels handeln. Der heutige Text thut es besonders unumwunden. Darum wollen wir uns in unserer heutigen Betrachtung auch vorzugsweise an diesen Umstand halten und die Antwort betrachten, welche unser HErr Seinen Feinden auf ihre Lästerung gibt. Aus dieser Antwort können wir nicht allein abnehmen, wie groß die Macht, Liebe und Weisheit JEsu ist, sondern auch was wir vom Satan und seinem Reiche zu denken haben, und wie gründlich boshaft die Einwendung und Lästerung der Feinde JEsu, wie ungünstig also die Aufnahme Seiner Wunder bei ihnen war.

 Wenn der HErr von gleicher Gesinnung mit denen gewesen wäre, welche sich heut zu Tage gerne den Namen der Vernünftigen und Aufgeklärten anstatt des wahreren und passenderen Namens der Ungläubigen beilegen; so würde Er Seinen Feinden eine Antwort gegeben haben, welche viel einfacher und kürzer ihren Einwurf vernichtet hätte, als es nun wirklich der Fall ist. Er würde ihnen geradezu gesagt haben: „Ihr abergläubigen Juden, wie kann Ich den Stummen durch den Obersten der Teufel geheilt haben, da es keinen Teufel und keinen Obersten der Teufel gibt. Die Rede vom Beseßensein ist ein Mährchen; die Stummheit kam nicht vom Teufel, und die Heilung kam auch nicht von ihm.“ Wäre das nicht eine kurze und gute Antwort gewesen, ganz nach eurem Sinne, ihr dünkelhaften Leute, die ihr Macht habt zu versichern,

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/148&oldid=- (Version vom 28.8.2016)