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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

sie fast geradezu Hündlein, wenigstens den Juden gegenüber, Er gibt ihr, weil sie als Heidin keine Verheißung hat, anfangs trotz ihres Bittens keine Antwort, dann allerdings zwei, aber eine immer schärfer abweisend als die andere. Sie aber wird nicht beleidigt, sondern sie erkennt, daß sie alle Worte des HErrn anzunehmen habe, so wie sie lauten, daß die Heiden nur, wie Hunde von dem Tische der Kinder, so von den Abfällen der reichen Hilfe und Mahlzeit der Juden zu eßen haben. Sie nimmt die geringste Stelle gerne ein − nimmt jede Wohlthat als unverdient, − aber begehrt sie doch jeden Falls mit größtem Ernste. Sie hat also Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis genug, und beide treten aus ihrem Benehmen in gleich starkem Lichte hervor.

 Diese Erkenntnis aber wird ihr zur Zuversicht, ist nicht eine Farbe, die am Sonnenstrahl der heißen Noth erbleicht, sondern eine Kraft, welche sich in der größten Noth bewährt. Das Weiblein bleibt beim Helfer, sie läßt sich durch nichts abweisen, ER oder Keiner kann und muß ihr helfen. Es ist ihr eine felsenfeste Gewisheit, daß ER Davids Sohn ist, daß ER Erbarmen und Gnade, Stärke und Weisheit genug habe, um ihr zu helfen. Ihr Herz wallt Ihm entgegen. Von Ihm erwartet sie alles Gute und Gewährung ihrer Bitten. − Sehet da, welch einen Glauben hat dieser Heidin der Heilige Geist gegeben!.

 Und nicht einen Glauben, der etwa stumm gewesen wäre, denn wir hören sie dem HErrn nachrufen. Ihr Glaube hat einen starken und ausdauernden Athem des Gebets, ja nicht allein einen Athem des Gebets, sondern des eigentlichen gründlichen und siegreichen Flehens und Gesprächs mit dem HErrn. Sie ergreift Seine bittern Worte, sie zweifelt sie nicht an, sie läßt sie alle in ihrer Kraft, aber sie bleibt auch in ihrer Behauptung, daß ER ihr gnädig sein und helfen könne, daß die Gnade eine Seiner Eigenschaften sei, die auch den Heiden sich offenbare. Das sagt sie frank und frei heraus in ihrem Gebet, sie ist eine gewaltige Beterin, im Geist eine Tochter Israels, der Gott und Menschen überwand. Ihre Erkenntnis war lebendig im Glauben und schäftig und mächtig im Gebet.

 Brüder! Bin ich nun wirklich dem Weiblein damit zu nahe getreten, daß ich ihre Mutterliebe eine natürliche Gabe, die Plage ihrer Tochter, wie mein Text, in allem Ernste eine Wirkung des Satans nannte? Was hab ich ihr genommen, das ich ihr nicht tausendfach wiedergegeben hätte? Was hab ich ihr abgesprochen, das ihr nicht im Ueberfluß ersetzt wäre? Hab ich ihr doch das Schönste anerkannt und gelaßen, was die Natur noch bietet, die Mutterliebe, und ihr außerdem zugesprochen, was noch schöner ist und die Mutterliebe erst recht verklärt, anbetenden Glauben JEsu. Und mußte ich ihrer Tochter Teufelsplage zuschreiben; so steht sie doch selbst schon vor Dem, vor dem die Teufel fliehen, mit dem − wenn sie Ihn hält so, wie sie Ihn gefaßt hat, − sie ihr geliebtes Kind aus allen Banden des Teufels reißen kann! Möglich, daß mancher dem Weiblein nur zu viel Lob gesprochen findet. Geht es doch auch sonst auf diese Weise. Oft, wenn man Aeußerungen und Worte biblischer Personen auslegt, scheint es so, als würde zu viel hinter ihnen gesucht und hineingelegt. Genauer untersucht findet sichs jedoch, daß man durch Misachtung des Glaubenslebens verleitet wurde, daß man den heiligen Personen nicht zu viel Ehre that, wohl aber auf dem Wege war, nach der eigenen Armuth ihren Reichtum zu bemeßen. Bei dem cananäischen Weiblein ist vollends gar keine Ursache, von zu viel Lob zu reden. Wie sie in der Schrift geschildert ist, so haben wir sie beschrieben, und es wird sich bald zeigen, daß sie in den Augen Christi nicht minder hoch stand.


 Wenn man von dem reden will, was Christus dem cananäischen Weiblein gab, so scheint es Anfangs, als dürfe man die ersten Verse des Evangeliums nicht ansehen, als müße man die ganze Antwort im letzten, 28. Verse suchen. Aber man wird auch das, was einen Augenblick nicht wie Geben, sondern wie Entziehen aussieht, zu den Gaben Christi rechnen dürfen. Es lautet wie eitel Weigerung und Abweisung, wenn der HErr nach anfangs stummem Fortschreiten auf Seinem Wege zu zweien Malen, einmal immer stärker und schärfer als das andere Mal, das Weiblein von Sich weist. Aber Sein Stillesein, Sein Weigern hat den Glauben des Weibes gestärkt und ihn so beständig und kräftig gemacht, als wirs lesen. Man überlegt es in der Regel nicht, aber es ist und bleibt wahr, daß Gottes scheinbares Schweigen und die Verzögerung der Erhörung nur Prüfung und unter der guten

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/145&oldid=- (Version vom 28.8.2016)