Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/98

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

als, „welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.“ Dabei muß jedoch bemerkt werden, daß das Eigenschaftswort, welches hier steht, überhaupt nur zweimal in der heiligen Schrift vorkommt, nemlich in unserm Texte und 1. Petri 2, 2; so wie, daß es von den griechischen Kirchenvätern selber, also von denen, denen Wort und Sache am nächsten stand, nicht anders ausgelegt wird, als „vernünftig“ oder „geistig“. Auch dürfte man wol um so mehr diese Auslegung annehmen, als der Ausdruck „Wort Gottes“, so wie wir ihn von der heiligen Schrift alten und neuen Testaments zu brauchen pflegen, im neuen Testamente gar nicht gewöhnlich ist. Man wird daher schon deshalb in unsrer Stelle, wie auch in der des heiligen Petrus 1. Petri 2, 2 den Ausdruck mit dem Kirchenvater Chrysostomus und andern, so wie mit Luther durch die Worte „geistig oder vernünftig“ geben müßen. Es ist auch der Sinn ein vortrefflicher. Das ist wahrhaft vernünftiges und geistiges Leben, wenn ein Mensch seinen Leib dem HErrn als ein lebendiges, heiliges, Gott wolgefälliges Opfer darbringt. Nicht das ist Geist und Vernunft, den Lüsten fröhnen; wol aber kann man es Geist und Vernunft nennen, wenn einer seines Leibes Herr wird und die leiblichen Geschäfte und Dinge in Einklang mit dem geistigen Leben und in Eintracht mit der Seele, die nach ewigen Zielen strebt, zu versetzen weiß. Wer seines Leibes Herr ist und der Regungen desselben, wer ihn beherrschen kann und zu heiligen weiß, der ist der größte Meister und Weise. Man könnte sich denken, daß jemand höhnend den letzten Satz weiter fortführen und sagen würde: Ja, der ist ein solcher Weiser und Meister, der es auch weiter gebracht hat, als St. Paulus selbst Röm. 7, da er ausruft: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes.“ Allein die Klage, welche der Apostel in der eben angeführten Stelle erhebt, bezeichnet keineswegs die höchste Lebensstufe, welche St. Paulus erklommen hat, so wahr sie auch ist und auf alle Menschen, selbst auf Apostel in oft wiederkehrenden inneren Lagen paßt. St. Paulus dankt auch durch JEsum Christum unsern HErrn für den Sieg im schweren Kampf, trägt in sich den heiligen Geist, von dem geschrieben steht: „welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder,“ und weiß auch zu rühmen, daß er durch den heiligen Geist verklärt werde von einer Klarheit in die andere. Daher redet er auch in unserm Texte von einem geistigen, vernünftigen Gottesdienst, von einer solchen Verklärung des Christen, durch welche auch der Leib heilig und gewissermaßen durchleuchtig wird. Sind wir auch selbst bis dahin nicht emporgedrungen, so wird uns doch unser Ziel damit gezeigt. Wir müßen auch alle zugestehen, daß dies Ziel nicht blos das würdigste ist, welches wir uns denken können, sondern auch ein erreichbares und mögliches, weil sonst der Apostel nicht dazu ermahnen und aneifern würde. Das letztere aber thut er ja alles Ernstes: er ermahnt uns durch die Barmherzigkeit Gottes, oder er ermahnt uns, daß wir um der göttlichen Barmherzigkeit willen „unsre Leiber“ dem HErrn zum Opfer begeben mögen. Die Barmherzigkeit Gottes, die uns widerfahren ist, die uns täglich widerfährt und uns erziehend und leitend treu verbleibt, ist der Grund, auf welchem St. Paulus so hohe Dinge von uns verlangt. Wir sollen Gottes heilige Priester sein, zu opfern geistliche Opfer, zu üben einen geistigen Gottesdienst, Gott anzubeten im Geist und in der Wahrheit, und unser Leib und gesammtes leibliches Leben soll bei all’ unsrer Anbetung und all’ unserm Gottesdienst das Opfer sein, welches unser Geist dem HErrn darbringe, täglich neu und immer wieder. – Da haben wir meine lieben Brüder, was unser Text von unserm Verhältnis zu unserm Gott sagt und es liegt darin für uns Lehre, Strafe, Beßerung und Züchtigung genug, für uns, die wir uns großenteils kaum je einmal besonnen haben, daß wir auch als Glieder des neuen Testamentes Gott Opfer darbringen können, und die wir eben so wenig oder noch weniger auf den Gedanken gekommen sind, daß an die Stelle der alten Opferthiere unser Leib treten und Gottes heiliges, lebendiges Opfer werden solle. Das ist nun aber so, und geht uns das wider unsern gewohnten Sinn, so wird es mit dem zweiten Teile der Epistel nicht anders sein.

.

 Unter uns kann man auch in christlichen Kreisen immer aufs neue und bis zum Ekel die Frage aufwerfen hören, in wie weit sich ein Christ dem weltlichen Leben anbequemen und mit der Welt gehen dürfe. Viele Christen sind in diesem Stücke wie jene Frauen, von denen geschrieben steht, daß sie immerdar lernen und nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen; sie werden mit der Welt nie fertig. Es ist

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 091. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/98&oldid=- (Version vom 1.8.2018)