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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

das geliebte Eine, so weiß er nichts mehr liebenswürdig zu finden, und es offenbart sich, daß er alles andere nur in dem Einen liebte. Wer Eins recht liebt, der liebt alles andere so, wie das Eine von ihm geliebt wird; ist das Eine und die Liebe dazu rein, so findet die Liebe zu allem andern Maß und Reinigkeit, – und wenn das nicht, vermag er überhaupt keine Liebe. Und wer nichts liebt, der liebt Eins nicht, daher die ganze Lieblosigkeit. Es ist das Paradies mit aller seiner Lieblichkeit dem entnommen, der die hochgelobte Schönheit des Paradieses, den HErrn HErrn, aus Liebe und Seele verlor. Die Liebe zu Ihm ist Geheimnis und Fülle aller andern Liebe.

 Man kann viele Dinge lieben, welche dem einzigen Geliebten verwandt sind. Aber Gegentheile kann man nicht lieben. Unser Herz ist zu groß und zu klein, um eine Heimath des Guten und Bösen zu sein. Kämpfen können beide in uns; aber auch im Kampfe muß ein Sieg sein. Nur eins von beiden ist uns heimathlich, von Natur das Böse, durch Gnade Gott. Dies Eine, was heimathlich ist, überwindet das andere. Ja unsere Liebe dazu ist schon der Sieg, den es errungen hat. In dem Maße, als die Liebe für das Eine steigt, sinkt das andere in der Achtung. Wenn das Eine gesiegt hat, ist das andere mit unserm Haß belastet.

 Drum ist es ein Wort, welches nur für einzelne, ähnliche Handlungen gilt: „Dieses thun und jenes nicht laßen.“ Für das große Ganze des Lebens gilt dagegen das Wort: „Niemand kann zwei Herren dienen. Entweder er wird einen haßen und den andern lieben; oder wird einem anhangen und den andern verachten.“ Ein treffendes Beispiel zu der großen Lehre, oder, wenn du lieber willst, die Lehre selber, mit recht verständlichen Worten ausgedrückt, ist deshalb auch das Wort: „Man kann nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Der allein gute Gott ist der einzige bleibende Schatz, alle Schätze und Güter der Welt sind Mammon, so wie sie auf unsre höchste und ausschließende Liebe Anspruch machen, und auch nur solche Liebe finden.

 Ist Gott dein Gut, wie Er es sein kann und soll; so hast du an Ihm genug, sorgst nicht mehr. Wer mit Ihm nicht vereinigt ist und doch Sein Nahen in der Sehnsucht vernimmt, welche das Herz erfüllt, – der mag sorgen und unruhig sein. Es wird bald Ruhe werden. Wer in Ihm liebend ruht, sorgt nicht mehr. Wer in Gott ruht, kann wohl nach den kleinen Dingen dieses Lebens die Hand ausstrecken und arbeiten, daß er sie erlange; aber dieses Streben darnach ist ohne Sorge, oder wenn du willst, eine Sorge ohne Sorge, – sie dient zur Reinigung der Seelen und ist unsträflich. Aber die Sorge, welche ängstlich ist, und die Gewisheit verliert, daß man in Gott alles habe, – die Sorge, welche aus der Ruhe bringt, – ist Mammonsdienst, Mammonsliebe, ein bedenkliches Zeichen für das Leben, das aus Gott ist. Selbst die Sorge, daß man in Gott bleibe, darf nicht zur Angst werden, sonst fällt sie dem Mammon in die Arme. Alle Zukunft ist heiter und angstlos dem, welcher recht liebt. Alles Streben nach Vollkommenheit ist bei dem, welcher Gott liebt, von Muth und Kraft begleitet, ist Heldentum und Siegesgewisheit. – –

 Ich habe meinen Mund aufgethan – und muß mein Auge niederschlagen. Die Wahrheit treibt zu starken Behauptungen – und richtet ihre Knechte darnach. Gott sei mir Sünder gnädig!


Am sechszehnten Sonntage nach Trinitatis.
Luc. 7, 11–17.

 ES hat etwas sehr Schönes, wenn die Gräber um die Kirchen her geordnet sind, wenn die Todten mitten unter den Lebendigen ruhen. Ein Gottesacker ist ein schöner Vorhof unserer Versammlungen; man wird, wenn man über ihn hin zur Kirche wandelt, durch die kräftige Erinnerung an Tod und Ewigkeit auf die rechte Stelle versetzt, auf welcher Gottes Wort großen Eindruck macht. Man ist auch, unter den Todten stehend, selbst halb abgeschieden, und die Gemeinschaft mit denen, welche ein ewiges Leben genießen, wird einem so wünschenswerth und so nahe gebracht! – Es ließe sich viel sagen für die Vereinigung

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/576&oldid=- (Version vom 1.8.2018)