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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gottessohn (Vers 13.) hat sie geoffenbart, – Er hat sie möglich gemacht durch Seine Versöhnung (Vers 14.), – Er hat den Odem, das untrügliche Zeugnis und Zeichen ihres Daseins, den Glauben (Vers 15.) gelehrt.

 Bruder, glauben wir nicht? Dürfen wirs nicht, mit Demuth zwar, aber auch mit Muth bekennen, wir glauben? Wenn wirs dürfen, sollen wirs dann nicht? Und wenn wirs dürfen und thun, sind wir dann nicht Kinder der Wiedergeburt? Lehrt nicht die erste Epistel St. Johannis (z. B. Capitel 5, besonders Vers 1 etc.) deutlich davon? – Lieben Kindlein, so wir Seine Kinder sind, so laßet uns beim Vater und beim Worte und im Geiste bleiben allewege und allezeit, wir schlafen oder wachen, wir leben oder sterben!


Am ersten Sonntage nach Trinitatis.
Luc. 16, 19–31.

 SIe haben gestritten, ob der Text Gleichnis oder Wahrheit sei. Als ob JEsu Gleichnis, wenn es eines wäre, nicht, so weit es diesseits des Todes spielt, in tausend Beispielen sich bewährte! Als ob der HErr so genaue Beschreibungen des Jenseits auch nur im Gleichnisse anders, als nach der strengsten Wahrheit geben würde, geben könnte! Was Gleichnis! Gestrenge, völlige Wahrheit redet der Mund des HErrn. Alle Lehrsätze, alle Schlüsse, die aus unserm Texte gezogen werden, sind wahr und bleiben ewig wahr! Wahr, ja wahr ist deshalb, was hier folgt:

 1. Es gibt ein Jenseits, eine Ewigkeit. Das bezeugt dieß Gleichnis, diese Geschichte, – das bezeugen alle Bücher der heiligen Schrift ohne Ausnahme, – das bezeugt auch der Prediger Salomonis (z. B. 11, 9. 12, 7. 14). Keines Lebendigen Zeugnis gilt dagegen. Mit nichten ist alles mit dem Tode aus, so sehr es mancher zu wünschen Ursache hat!

 2. In der Ewigkeit gibt es zwei Orte: Abrahams Schooß und den Ort der Qual, – einen Ort des Trostes und seliger Gemeinschaft und einen Ort furchtsamer Einsamkeit, die durch die Menge der Genossen nicht gemindert, durchs Anschauen der Seligen noch mehr verbittert wird. Zwei Orte gibt es, von einem dritten weiß die Schrift nichts, – und Menschensündlein, zum Faulkissen schlimmer Sünder erdacht, sind alle Gegenlehren.

 3. In einen von beiden Orten kommst du unmittelbar nach dem Tode. Gleichwie zwischen Himmel und Hölle kein dritter Ort liegt, so ist auch zwischen dem Leben hier und der Ewigkeit kein Uebergang. Das Leben ist Gnadenfrist, – bis zum letzten Hauch ist Gnadenfrist. Nach dem Leben beginnt unverweilt das für ewig entschiedene Loos. Nichts von Läuterung, nichts von Reinigung, nichts von Bekehrung zwischen hier und dem ewigen Bleibort weiß die Schrift. Schädliche Menschensündlein und Träume nicht von Gott sind alle Gegenlehren.

 4. Zwischen den zweien Orten der Ewigkeit ist kein Wechsel gestattet: die Kluft, die Kluft ist für alle Geister, wie für alle Leiber ohne Möglichkeit des Uebergangs. Jede von den zwei Pforten des Jenseits hat hinter sich eine Ewigkeit: hinter ihnen ist für ewig confirmirt und bestätigt jegliche Gesinnung, die man mitbrachte, sei sie gut oder böse gewesen.

 5. Von allem Jenseits gibt es keine Ueberzeugung, als durch Gottes Wort, Vers 31. Keine Nachricht kommt von denen, die drüben sind, als nur von dem Erstling unter denen, die da schlafen, von Christo! Nichts ists mit aller Geisterei und keinen Glauben in Anbetracht des Jenseits verdienen alle die Erscheinungen, die weißen oder schwarzen. Von Gott kommt nur Gottes Wort!

 6. Nichts entscheidet für die Ewigkeit, als der Glaube, – nicht Werk noch Dulden, nicht Wißen noch Fühlen, – nur der Glaube, der da wirkt Frieden und Stille, Stärke und Standhaftigkeit, Klarheit und Harmonie der Seele. Nichts ists mit Rennen und Laufen! Wer mit Werken, Fühlen, Wißen umgeht, als sollt’ es selig machen, ist – verloren.

 Ach HErr, wie wichtig ist die Spanne Zeit für die lange Ewigkeit! Hilf uns, daß wir die Verheißung Deiner Ruhe nicht versäumen. Amen.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/562&oldid=- (Version vom 14.12.2022)