Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/561

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am Feste der allerheiligsten Dreieinigkeit.
Joh. 3, 1–15.

 WIr feiern heute das Fest der allerheiligsten Dreieinigkeit zum Schluß der langen Festzeit seit Advent. – Von Ihm und durch Ihn und zu Ihm sind alle Dinge – so rufen wir beim Ueberblick der langen Festreihe und der Wohlthaten Gottes, die sie uns verkündigte, und geben für alles Heil in Christo JEsu dem Dreieinigen allein die Ehre. Seine Wohlthaten erkennen wir – und auch sie, Seiner Liebe Zeichen, sind uns nach ihrer Länge und Breite und Höhe und Tiefe nicht bekannt. Er aber, Er Selbst, Sein Wesen, die Dreiheit in der Einheit, ist uns ein anbetungswürdiges, ja ein angebetetes Geheimnis, von welchem kein Mensch ohne Zittern reden kann. Wir bekennen Ihn, den Dreieinigen, mit dem Bekenntnis des heiligen Athanasius; wir loben Ihn mit Ambrosius und Augustinus im großen Lobgesang: „HErr Gott, Dich loben wir“ etc. Wir erheben unsere Stimmen zu Ihm und nahen Ihm, aber wir laßen uns auch wieder gesagt sein, was Habacuc 3, 20. sagt: „Der HErr ist in Seinem heiligen Tempel; es sei vor Ihm stille alle Welt.“

 So fühlten es auch die Väter. Darum wählten sie nicht etwa Matth. 28, 16 ff. zum Evangelium, nicht 1. Joh. 5, 4 ff. zur Epistel des Tages, d. h. nicht Texte, welche klar und unumwunden von der allerheiligsten Dreieinigkeit reden; sondern sie wählten Texte, welche mit heiliger Ehrfurcht auf den Angebeteten hindeuten, mit klaren Worten aber bei solchen Lehren verweilen, deren tiefer, unergründlicher Sinn auf des Geheimnisses der ewigen Wahrheit, d. i. Gottes Selber einen Schluß machen lehrt. Das Evangelium redet Vers 12. von himmlischen Dingen, die erstaunlicher seien, als die Wiedergeburt, von der es übrigens spricht: und wohl merkst du Leser, daß die Erwähnung dieser himmlischen Dinge auf die Lehre von der Dreieinigkeit deutet. Die Epistel (Röm. 11, 33–36.) redet von dem unausforschlichen Rathschluß Gottes zur Seligkeit der Menschen, und weist mit ihrem letzten Verse auf Den, deß Rath ist unbegreiflich und unerforschlich, wie Sein Wesen.

 Das Evangelium redet weniger deutlich, als die Epistel, von der allerheiligsten Dreieinigkeit – und doch führt es uns in so gar herzlicher Weise zu Ihr durch den einen Gedanken:

Und dieses Gottes Kinder sollen wir werden!
 Seines Geschlechtes sollen wir werden!

 Er ist unbegreiflich: so sind auch Seine Kinder geheimnisvollen, wunderbaren Wesens, sich selbst ein Räthsel, ein Widerspruch in sich selbst: Sünder – und doch Gottes Kinder. Sie gleichen dem brausenden Winde, von deßen Dasein jedermann überzeugt ist, deß Aus- und Eingang aber niemand kennt. Vers 8.

 Er ist wunderbar, und wunderbarer ist die Geburt Seiner Kinder, denn sie ist Wiedergeburt und geschieht aus Waßer und Geist. Geboren sein und wieder geboren werden, – aus Waßer – und aus Geist geboren werden! Wer sollte nicht Nicodemus’ Erstaunen theilen, auch wenn er die Wahrhaftigkeit der Geburt an sich selbst erfahren hat. Wie wahr ist das Ps. 139, 14.: „Ich danke Dir darüber, daß ich wunderbarlich gemacht bin, wunderbarlich sind Deine Werke und das erkennet meine Seele wohl!“

 Er ist wunderbar, aber Er ist. So ist auch die Geburt aus Gott ihrem Sein und Werden nach wunderbar, aber nichts desto weniger nothwendig und wirklich. Sie ist nothwendig, denn Gott Selber spricht es aus, daß nur Seine aus Waßer und Geist wiedergeborenen Kinder an Seinem Reiche Antheil haben sollen. Sie ist wirklich, sie ist möglich und oft ins Dasein gerufen worden; denn der untrügliche

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/561&oldid=- (Version vom 1.8.2018)