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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Inhalt. Auf diese Weise wäre der Zweck, sich am Schluß des Jahres an das Ende der Zeit zu erinnern, erreicht worden ohne die so große Häufung gleichartiger Texte. Warum hat nun die Kirche nicht lieber so gehandelt, zumal ja auch die auf den Schluß des Jahres gleich folgende Adventszeit abermal vom Ende liest und redet? Warum hat sie die Häufung der gleichartigen Texte nicht vermieden? Warum müßen ihre Diener so oftmals ihre Stimme mit dem Ton der Posaune des Weltgerichts füllen? Einfache Antwort. Weil sie am Schluß und am Anfang des Jahres nichts Beßeres zu thun weiß, als ihre Kinder zu erinnern, daß wir seit der Auffahrt Christi auf Seine Wiederkunft warten, daß die letzte Zeit vorhanden ist und keine andere, daß seit der Apostel Tagen Wartezeit ist. Die Kirche redet so oft von der gleichen Sache, weil grade diese so leicht und gern vergeßen wird, und weil sie doch werth und es für alle nöthig ist, an sie zu denken. Die Wichtigkeit der Sache ist der Grund von der oftmaligen Rede über sie. Es heißt auch hier: „daß ich euch immer einerlei schreibe, verdrießt mich nicht und macht euch desto gewisser.“ So laßet euch denn gefallen, auch an diesem Sonntage die Posaune des Welt-Endes zu hören. Der HErr aber erwecke eure Seelen zu dem heiligen Entschluße, selbst den Gedanken, welchen die Kirche so sehr und oft empfiehlt, ins Herz aufzunehmen, Ihn zu hegen und zu pflegen. Er trieft von Segen, je mehr er erfaßt wird. Wohl allen, die ihre Zeit immer im Bewußtsein zubringen, daß alle Zeit zu Ende geht, daß der HErr kommt und mit Ihm Sein Lohn.

 Indes, meine Brüder, handeln ja die verschiedenen Texte, welche vom Ende reden, nur im Allgemeinen von einer und derselben Sache; es ist viel Unterschied zwischen ihnen; jeder Text hat sein Besonderes, – und wer nun mehrere im allgemeinen gleichartige Lectionen gehört hat, der kann vergleichen, die Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit finden und am Ende den Eindruck bekommen, daß die Mehrung der Texte, die von der Wiederkunft Christi reden, sehr geeignet ist, die Erkenntnis der Heiligen nicht bloß zu befestigen, sondern auch zu erweitern und zu klären. Solchen Fortschritt der Erkenntnis scheint mir nun besonders bei der von mir gewählten Reihenfolge der epistolischen Texte möglich gemacht und erleichtert zu sein. Vor vierzehn Tagen redete der Text von der Auferstehung und der Himmelfahrt der Gläubigen als von dem edelsten Todestroste; vor acht Tagen handelte er vom Gericht und der gerechten Vergeltung Gottes, – heute aber vom Ende der Welt, vom Untergang aller sichtbaren Dinge. Ist das nicht Fortschritt und Vervollständigung des Gedankens, nicht Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit? Mir scheint es, als sei unser heutiger Text wie ein Siegel des allmächtigen Gottes unter alle Lectionen des Jahres, wie eine göttliche Zusammenfaßung aller irdischen Gegenwart mit der großen kommenden Zukunft.


 Sehen wir nun kürzlich zum Jahresschluß diesen Text in seiner Kürze und Größe an, was gibt er im Ganzen? Er spricht, wie gesagt, von dem Untergang der sichtbaren Welt, oder, genauer aufgefaßt, von der Gewisheit dieses Untergangs gegenüber dem Spotte der Spötter in der letzten Zeit.

 Es hat allezeit Leute gegeben, selbst in den Tagen der Apostel, welche behaupteten, die Hoffnung der Christen sei eitel, die Auferstehung sei nicht wörtlich, sondern irgend wie geistig aufzufaßen. Je nachdem sich diese Menschen mehr oder weniger dem Zweifel ergeben haben, je nachdem sie aus Zweiflern Verzweifelnde wurden, gaben sie auch je und je dem Ausdruck und Ausspruch ihres Unglaubens eine schlimmere Gestalt, wurden ihre Reden zuversichtlicher, härter, höhnisch und spöttisch. Die Unkrautsaat des Unglaubens, welche von solchen Händen ausgestreut wurde und noch immer aufs neue ausgestreut wird, hat auch allezeit Herzen und Boden gefunden. Aber in dem letzten Theile der Zeit soll Saat und Aernte des Unkrautes üppiger werden. Es gibt Zweifler, die selbst noch nicht alle Hoffnung verloren haben, und Spötter, welche innerlich von der Wahrheit erfaßt und von Gott unter diejenige Schaar von Seelen eingezeichnet sind, die Ihm noch reuig, bekennend und gläubig zu Füßen fallen und zu Seiner Ruhe eingehen sollen. Manchem Zweifler und Spötter ist es innerlich um Wahrheit und den Frieden der Wahrheit zu thun. Es ist daher manchmal gut, einen Spötter oder Zweifler kräftig und hoffnungsvoll anzureden und anzugreifen, von seinen grellen Spott- und Zweifelsreden sich nicht allzusehr irre machen zu laßen. Von dieser hoffnungsvollen Art der

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/555&oldid=- (Version vom 1.8.2018)