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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

die Gewalt der Herrlichkeit des HErrn.“ Wenn du den Allmächtigen bitten darfst, dann darfst du auch des Allmächtigen Würdiges bitten. ER, der allmächtig nach der Gewalt Seiner Herrlichkeit am Kreuze die Last unseres Todes und unserer Sünden trug, und nach derselben Gewalt jetzt noch HErr wird über Sein brausendes Meer des Zornes und der Gerechtigkeit, das sich wider uns erhebt, – der nach der Gewalt Seiner Herrlichkeit ein guter Hirte ist und bleibt und Seiner Kirche aushält bei allen ihren täglichen Sünden und überdies ihr ein freudenvolles, gnädiges Angesicht zeigen kann: ER gibt Seiner würdig, wenn Er den Apostel erhört, den Colossern und uns Armen alle Kraft, Geduld und Langmuth zu beweisen mit Freuden.

 ER vollendet aber Gabe und Erhörung, indem ER uns zur Langmuth und Geduld mit Freuden – verleiht ein dankbar Herz. „Danksaget dem Vater“, mahnt der Apostel – und betet er zugleich. O was für ein Bild einer christlichen Gemeinde entsteht, wenn wir als gute Maler zusammentragen in Ein Angesicht alle die Züge, welche uns diese Epistel liefert. Welch schönes, reines Menschen- und Christenbild! Und umgoßen ist es von dem Danke und der Danksagung als von einem Heiligenscheine, von Strahlen einer gottverlobten Seele. Alle diese Tugenden und Gaben besitzen, welche der Text besagt, das ist alles Dankes werth, Stoff für ewige, unsterbliche Danksagung, ehe man noch fragt, ob man denn auch für noch andere Dinge dem HErrn zu danken habe. Laß zu den Tugenden den Dank kommen, so wird das ganze Bild, das wir im Texte sehen, priesterlich; das geistliche Priestertum des Christen tritt damit vor’s Angesicht in Geist und Wahrheit. Streich den Dank aus, laß ihn weg, setz dafür ein undankbar Herz? Nicht wahr, der hellste Widerspruch. Es geht ja auch nicht anders: Dank, Danksagung, wie wir das so oft in diesen Episteln des Kirchenjahres sahen, ist des Christen heiliges, unabläßiges, priesterliches Geschäft, in dem lebend, er und alle seine Tugend am Leben bleibt, welches unterlaßend er sich selbst und aller seiner Tugend den nahen Tod ansagt.

 Hier stehen wir nun wieder bei dem schon oben gepriesenen hohen Schluß des Textes, welcher Rechenschaft von dem gibt, wofür ein Christenmensch danken soll, wenn ihm die Gabe und Gnade der Danksagung geschenkt wird und diese selbst die Natur des Lobes und Dankes zu Gott in so hohem Grade annimmt. Ich muß es gestehen, daß es mir bei den Worten dieses Schlußes wieder geht, wie in den späteren Tagen meines Lebens mit der Schriftbetrachtung oftmals. Die einzelnen Theile der Texte des göttlichen Wortes, ja oft einzelne Worte und Ausdrücke nehmen einen Glanz für mich an, daß mir, obwohl ich mich vom Lichte beschienen, ja erleuchtet fühle, doch ist, als erkenne ich nichts, als stehe ich lichtgeblendet vor den offenen Pforten des Paradieses. Es ist alles nur ganz gering, unbedeutend und klein, was so ein armer Textausleger unserer Tage sagt und sagen kann, um sich und andern seine Texte näher zu bringen, und man hat an seiner Stelle immer die Bitte um Verzeihung dafür auf den Lippen, daß man es wagt zu reden. Ich helfe mir, wenn mir die Einsicht schwer wird, zuweilen durch Herstellung einer Uebersicht, eingedenk der Erfahrung, daß Uebersicht Einsicht wirkt. Die kleine Hilfe gebrauche ich auch jetzt bei meinem Texte für heute. Ich werde seiner damit nicht mächtig. Wenn er dafür nur meiner mächtig wird; das ist genug.

 Ich bemerke an dem hehren Schluße unsrer heutigen Epistel wie an einer Leiter, die vom Himmel zur Erde reicht, drei Abtheilungen oder Stufen. Die oberste Stufe wird zuerst enthüllt, dann die zweite, endlich die dritte. Die erste glänzt im Lichte der Heiligung, die zweite in dem der Rechtfertigung, die dritte in dem blutigen Scheine Golgathas und unserer Erlösung; so könnten wir wenigstens sagen, wenn wir nach Weise der Lehrer in den Schulen reden wollten.

 Er hat uns tüchtig gemacht zum Antheil am Loose der Heiligen im Lichte,“ – mit diesen apostolischen Worten wird die oberste Sproße der Leiter, unsre Heiligung, enthüllt. „Er hat uns errettet aus der Obrigkeit (oder Botmäßigkeit) der Finsternis und versetzt ins Königreich des Sohnes Seiner Liebe“, das ist die zweite Sproße; so redet der Text von unserer Rechtfertigung. „In diesem haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden“, hiemit steht die Leiter auf der Höhe von Golgatha auf. – Vielleicht könntest du meine Uebersicht tadeln. Vielleicht

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/540&oldid=- (Version vom 1.8.2018)