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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

bisher.“ Abermals ein Zeugnis von der Gebetsgemeinschaft des Apostels mit seinen Gemeinden, wie wir erst am 18. Sonntag nach Trinitatis ein ähnliches gelesen haben. Abermals ein vorwurfsvolles Wort wohl für uns alle, die wir kaum von den liebsten Menschen, die wir besitzen, werden sagen dürfen, was St. Paulus in Betreff aller Philipper, also aller ihm bekannt gewordenen einzelnen Christen in der eben angedeuteten Stadt, versichern kann. Er sagt, er bete mit Freuden für die Philipper, für alle und jede, und in einem jeglichen Gebete steigere sich bei ihrer Erwähnung das Gebet zum Dank. Also beten mit Freuden, oft beten, denn auch das liegt in der Stelle, jedes Gebet zum Danke werden laßen, das war die große Fertigkeit und Tugend des heiligen Apostels. Wir aber, beten wir denn mit Freuden für andere, für ganze Gemeinden, für alle und jede? Beten wir oft, und löst sich unser Gebet in Dank auf, wo überall es sich darin auflösen kann? Wer von uns allen hat wohl das gute Gewißen, so etwas von sich selbst zu behaupten? Wir sind meistens so arm und lahm, wenn es gilt die Flügel des Gebetes zu schwingen, zumal für andere, zumal im Dankgebet. Unsere Vergleichung mit dem Apostel fällt traurig aus, noch ehe wir nur wißen, wofür eigentlich der Apostel gedankt hat, ehe wir also nur fragen können, ob wir jemals für diesen Gegenstand ein Dankgebet gesprochen haben. Wie wirds erst sein, wenn wir diesen Gegenstand des Dankes erkannt und uns zum Bewußtsein gebracht haben.

 Der Gegenstand des Dankes ist im 5. Verse des Textes treulich angegeben, er ist nichts anderes, als die Gemeinschaft der Philipper am Evangelio vom ersten Tage an, da sie es hörten, bis zum Tage, da der Apostel schrieb. Die Gemeinschaft am Evangelio ist also dem Apostel so viel werth, daß sie ihm in den Sinn kommt, so oft er betend an die Philipper denkt, daß er sich angetrieben fühlt, dafür zu danken, so oft er für sie betet. Was für Viele von uns vielleicht ebenso wenig ein Gegenstand des Dankes ist, als die Luft, die wir täglich einathmen, das gibt seinem Geiste Feuer und Andacht. Und doch müßen wir sagen, daß die Gemeinschaft am Evangelio ein Ausdruck ist, welcher im bescheidensten Maße eine hochwichtige Sache benennt. Aus der Gemeinschaft am Evangelium entspringt doch alle Gemeinschaft mit Gott, mit Christo, mit Seinen Heiligen. Man ist an der Mutter Brust, man sitzt an der Quelle, wenn man am Evangelium hangt, es hört und aufnimmt, und wer aus dieser Gemeinschaft nicht geht und ihr treu verbleibt, für den ist selbst dann noch zu hoffen, wenn er, weit entfernt, dem Evangelium den Einfluß auf sich zu laßen, welchen die Philipper zuließen, im Gegentheil sein Herz den Kräften des Evangeliums größtentheils verschließt. Wer nur irgendwie noch im Zusammenhang mit dem segensreichen Worte Gottes bleibt, für den kann eine Aenderung eintreten, ehe man sichs versieht, und ein Tag anbrechen, während noch tiefe Mitternacht über Ihm zu liegen scheint. Der Ausdruck „Gemeinschaft am Evangelium“ umfaßt vieles, nicht bloß alle Stufen der Innigkeit unseres Verhältnisses zum göttlichen Worte, sondern auch alles Maß des Segens, welcher aus diesem Verhältnisse fließen kann und fließt. Er kann so inhaltreich sein, daß der Dank eines Apostels daran erglüht, aber auch so klein an Fülle, daß er nur gerade noch hinreicht, ein Herz zu trösten, welches keinen Segen sieht und inne wird. Bei einer solchen Dehnbarkeit des Begriffes und einer so herrlichen Anwendung desselben auf alle Fälle und Zustände, in denen man sein und leben kann, darf man wohl zugestehen, daß uns in demselben Anlaß zu unendlichen Dank gegeben wird. Haben wir bisher den Dank versäumt, so liegt in dem heutigen Texte eine Regung zur Buße und Beßerung, und es wäre uns sehr zu wünschen, daß wir diese Regung nicht übersehen noch übergehen, sondern sie pflegen, wie einen Funken, der leicht verlöschen, aber auch zur hellen Flamme aufschlagen kann.

 Werden wir dankbarer für die Gemeinschaft, so wird damit die Gemeinschaft selber wachsen und zunehmen, auch Kraft gewinnen, sich zu erstrecken von einem Tag zum andern; im Danke für sie liegt zugleich Lebensfristung. Das aber ist ohne Zweifel das nöthigste für uns alle, daß wir in der Gemeinschaft des Evangeliums bleiben bis ans Ende. Der Tag, wo diese Gemeinschaft aufhörte, wäre für uns ohne Zweifel der größte Unglückstag: die Quelle des lebendigen Waßers, welches ins ewige Leben springt, hörte damit auf zu fließen, die ausgereckte Hand einer ewigen Hilfe wäre zurückgezogen. Bei dem Blick auf eine so schreckensvolle Möglichkeit können

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/524&oldid=- (Version vom 1.8.2018)