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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am zweiundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Phil. 1, 3–11.
3. Ich danke meinem Gott, so oft ich euer gedenke, 4. (Welches ich allezeit thue in alle meinem Gebet für euch alle, und thue das Gebet mit Freuden,) 5. Ueber eurer Gemeinschaft am Evangelio, vom ersten Tage an bisher. 6. Und bin desselbigen in guter Zuversicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen, bis an den Tag JEsu Christi. 7. Wie es denn mir billig ist, daß ich dermaßen von euch allen halte; darum daß ich euch in meinem Herzen habe, in diesem meinem Gefängnis, darinnen ich das Evangelium verantworte und bekräftige, als die ihr alle mit mir der Gnade theilhaftig seid. 8. Denn Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlanget von Herzensgrund in JEsu Christo. 9. Und darum bete ich, daß eure Liebe je mehr und mehr reich werde in allerlei Erkenntnis und Erfahrung, 10. Daß ihr prüfen möget, was das Beste sei, auf daß ihr seid lauter und unanstößig bis auf den Tag Christi, 11. Erfüllet mit Früchten der Gerechtigkeit, die durch JEsum Christum geschehen (in euch) zur Ehre und Lobe GOttes.

 DAs Evangelium von den zehntausend Pfunden und des Apostels freudiges Vertrauen, daß der HErr, welcher in den Philippern das gute Werk angefangen hat, es auch vollenden werde bis auf den Tag JEsu Christi, wie stimmt dieser Doppelinhalt der beiden heutigen Texte zusammen? Wahrlich, man könnte einen Augenblick in Verlegenheit kommen, die Texte zusammen zu reimen, von welchen ich euch so eben den hervorstechenden Inhalt angegeben habe, wenn nicht in dem Knechte, welchem so viel vergeben wurde, der sich aber alsdann durch Härte um allen Segen brachte, doch ein leuchtendes Beispiel gegeben wäre, wie das angefangene Werk des HErrn durch die sündige Verkehrtheit des Menschen aufgehalten und vernichtet werden konnte. Da zeigt also der Knecht, wie man nicht vollendet wird bis zum Tag JEsu Christi. Damit wird das Evangelium zum Widerspiel der Epistel, tritt aber auch eben dadurch mit ihr in Zusammenhang. So wie bei dem ebräischen Parallelismus der Poesie ähnliche und ebensowohl auch entgegengesetzte Gedanken zu einem Verse zusammengefaßt werden, so tritt in den beiden Lectionen des heutigen Sonntags Satz und Gegensatz zusammen. Und wir lernen auf das Ende schauen und uns zur Ewigkeit bereiten in dem einen Texte, wie in dem andern. Laßet euch, lieben Brüder, diese Vereinigung beider gefallen und geht nun mit mir in die liebliche Epistel hinein, welche dem ernsten warnenden Evangelium mit der Kraft der süßesten Lockung zur Seite tritt.

 Diese Epistel zerfällt vor unsern Augen in drei Theile. Der erste, Vers 3–5, enthält des Apostels freudigen Dank für die Gemeinschaft der Philipper am Evangelium vom ersten Tag, da sie es vernahmen bis zu dem Tage, an welchem der Brief geschrieben ist. Der zweite, Vers 6 und 7, legt des Apostels fröhliches Vertrauen vor, daß das in den Philippern angefangene gute Werk auch werde vollendet werden bis an den Tag Christi. Diese Abtheilung bildet den Gipfel und Höhenpunkt des Textes. Die dritte aber, Vers 8–11, redet von dem großen Liebesverlangen des Apostels nach den Philippern und ihrer Vollendung. Alle drei Theile sind Ein schönes Ganzes, beginnend mit Dank, sich gipfelnd im gläubigen Vertrauen, sich senkend und lösend in liebevoller Fürbitte.

 Ich danke meinem Gott, so oft ich euer gedenke (welches ich allezeit thue in allem meinem Gebet für euch alle, und thue das Gebet mit Freuden), über eurer Gemeinschaft am Evangelio vom ersten Tage an

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/523&oldid=- (Version vom 4.11.2017)