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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ergeht an uns der Ruf: „Seid stark, meine Brüder, im HErrn und in der Macht Seiner Stärke, – bestehet gegen die listigen Anläufe des Teufels, – thut Widerstand, wenn das böse Stündlein kommt, richtet alles wohl aus, behaltet das Feld.“ Das sind ja wieder nicht Worte des Gesetzes an die gefallene Menschheit, in der Absicht gegeben und gesprochen, daß unsere Ohnmacht an den Tag komme und wir desto williger und reifer werden, in die durchbohrten Hände zu fallen, sondern es sind Worte an Christenmenschen gerichtet, denen die Kraft gegeben ist, zu können, was sie sollen, für welche die apostolischen Ermahnungen lebendige stärkende Lüfte sind. So schwach wir also seien, so listig und mächtig der Feind, so muß doch der Sieg möglich sein. Der heilige Augustinus betet der Kirche vor: „Gib, o HErr, was du befiehlst, und befiehl alsdann, was du willst“; der HErr aber erhöret ihn und die betende Kirche, und gibt, was Er befiehlt. Was Er den Seinen gebeut, das muß schon darum möglich sein, weil Er es gebeut, und weil Er die Kraft dazu gibt. Das deutet ja auch der Apostel damit an, daß er spricht: „Seid stark in dem HErrn und in der Macht Seiner Stärke“; so wie in der Mahnung: „Ziehet an den Harnisch Gottes“, d. i. den von Gott geschenkten Harnisch, die von Gott gegebene Waffenrüstung. Wir haben ja freilich keine Kraft von Natur; aber wenn Gott eilet, Sein Vermögen unserer Schwachheit beizulegen, wenn Er in uns ist und wir in Ihm, dann können wir wohl in den Krieg gehen, und wenn Er Selbst uns wappnet, dann werden wir bewahret sein. So thöricht es daher auch wäre, wenn wir unsere Hoffnung auf die eigene Kraft wollten setzen; so feige und unverantwortlich wäre es doch auch, wenn wir bei der Verheißung einer göttlichen Unterstützung Lust und Muth zum Kampfe wegwerfen und am Sieg verzagen wollten. Als einst Israel in den Krieg zog gegen seine Feinde, hieß es: „Der HErr wird für euch streiten, ihr werdet stille sein.“ So ist auch jetzt noch der Kampf mehr ein Kampf Gottes, wenn auch nicht ohne uns, als ein Kampf der Menschen. Wer dem HErrn vertraut, der fleucht nicht, sondern er bläst gläubig in die Trompeten, damit die Mauern Jerichos fallen. Da heißt es eben auch wieder, wie Luther übersetzt: „Gläubet ihr nicht, so bleibet ihr nicht,“ und der Sieg geht mit dem Glauben. Deshalb hüte sich ein jeder vor der Feigheit des Unglaubens. Den gewaltigen und zahlreichen Feind im Auge, im Gedächtnis und Bewußtsein die hohe Verantwortlichkeit des Kampfes, erneure man sich im Geiste seines Gemüthes und ergreife die Waffenrüstung, welche zum Siege hilft.

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 Diese Waffenrüstung legt uns der Apostel mit ungewöhnlicher Ausführlichkeit vor, Stück für Stück, so daß es ist, als sähe man den Streiter und Kämpfer sich anziehen. „So stehet nun,“ sagt der Apostel, und man sieht bei diesen Worten den Streiter Christi im gewöhnlichen Kleide stehen. Der Apostel sagt aber auch: „Ergreifet die Waffenrüstung Gottes, ziehet sie an, daß ihr bestehen könnet gegen die listigen Anläufe des Teufels.“ Wenn also der Mensch in seinem gewöhnlichen Friedenskleide steht, so kann er nicht bestehen: er muß die göttliche Waffenrüstung haben. Seine Stärke ist keine eigene, sein Sieg kein eigener, es ist alles von Gott dem HErrn. Was ergreift er nun zu allererst von der gesammten Rüstung, die ihm dargereicht wird? Er nimmt zuerst den Gurt, der das Kleid zusammenhält, der den Lenden das Gefühl der Stärke und Kraft mehrt, und den Mann fertig macht zum Gange vorwärts und zum Streit. Was aber dem irdischen leiblichen Menschen der Gurt seiner Nieren leistet, das thut dem geistlichen Menschen die Wahrheit. Wer dem Teufel entgegen gehen soll und seinem Herrn, der muß im Bewußtsein der göttlichen Wahrheit stehen, die Wahrheit verleiht getrosten Muth, sie stählt den Menschen zum guten Kampf, sie macht ihn geeignet vorwärts zu gehen gegen den Feind seiner Seligkeit. Wer die göttliche Wahrheit nicht kennt, dem fehlt von der Rüstung das erste und nöthigste Stück; das Gefühl deßen, was er soll und weshalb er in den Streit geht, wird ihm mangeln, daher ist allerdings das nöthigste und erste, was ein Christ haben muß, die Wahrheit. Aber wir würden uns nicht getrauen und auch nicht tüchtig sein, die Wahrheit zu bekennen und zu vertheidigen, wenn uns die Gerechtigkeit mangelte. Das Gefühl unserer großen Unwürdigkeit, das Bewußtsein unserer Sünde, das böse Gewißen, welches uns ohne Ende nagt, würde uns vollkommen untüchtig machen zu dem gesammten Kampfe, der vor uns

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/520&oldid=- (Version vom 1.8.2018)