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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

sie erringen, für sich brauchen, bekommen im Allgemeinen harte Formen und entgehen dem Geize schwer. Es soll doch ja keiner zufrieden sein, so lange er es nicht dahin gebracht hat, auch geben zu können. Geben ist nöthiger, als erübrigen; nicht blos kommt dadurch das zeitliche Gut zu seinem rechten Zwecke, sondern der Mensch, der sich darin übt, bewahrt sein Herz vor Härtigkeit. Viele Menschen gibt es, die es rein für unmöglich halten, etwas zu entbehren; vor jedem Armen, vor jeder Collectenschüßel, jedem Klingelbeutel, jeder Gelegenheit zu opfern und Gutes zu thun, gehen sie vorüber, als wären sie selbst die armen Leute, denen jederman geben sollte, statt daß sie gäben. Die Einbildung, der Wahn verfolgt sie, als hätten sie nichts übrig, und indem der Wahn in ihnen fix wird, ist es auch so; während sie scharren und geizen, haben sie zum Lohne das Gefühl der größten Armuth; niemand gibt ihnen, so sehr sie es wünschen und niemand dankt ihnen, weil sie niemand geben; der Fluch liegt auf ihnen, weil sie nicht erforschen, noch sehen mögen, daß am Ende jeder noch etwas hat, oder etwas erarbeiten kann, um es zu geben. Dem frommen Fleiße folgt der Segen, daß er kann, was er soll, und soll, was er kann, und wer, sei es auch in bittrer Armuth, sich dem Worte des Apostels untergibt, von dem wir reden, dem wird gegeben, auf daß er selbst habe und seliglich geben könne.


 Lieben Brüder, wie unser Dorf und unsere Pfarrei durch Lüge, Zorn und Diebstahl verwüstet ist, das wißet ihr alle. Ihr könnt aber auch alle schließen, was für ein Paradies und Schauplatz aller Engel eure Häuser, dies Dorf und unsere Parochie werden würde, wenn nur fürs erste einmal diese Ausgeburten des alten Menschen, Lüge, Zorn und Diebstahl abgelegt, und dafür angelegt würden Wahrhaftigkeit, friedfertige Versöhnlichkeit und frommer Fleiß. Jammernd sehe ich auf den breiten Weg, auf dem sich eure Menge in Lüge, Zorn und Diebstahl drängt. Sehnsüchtig sehe ich auf zu den Bergen, von welchen die Hilfe kommt, und rufe und schreie um gnädigen Erfolg des Wortes, daß der neue Mensch, der in euch seit eurer Taufe geschaffen und noch nicht ertödtet ist, stark werden möge, abzulegen die Werke der Finsternis, anzulegen die Waffen des Lichtes. O großes Glück aller, die sich täglich erneuern laßen im Geiste, auf daß sie Gottes Werke wirken. O Wonne und Freude, wenn mehrere unter euch, wenn viele einig würden unter einander, sich zu erneuen, die heiligen Wege der Wahrhaftigkeit, der Friedfertigkeit, des frommen Fleißes zu gehen. Wie schön wäre es bei uns, ja wie schön wäre es im Eise des Nordens und in der Gluth des Südens, wenn die Christen einig würden, den alten Menschen aus, den neuen anzuziehen! Und das gienge so leicht, denn den Willigen hilfst Du, o HErr mein Gott, an Deßen Brust ich mich bergen und mit Dem ich mich trösten muß, wenn nicht geschieht, wozu Du und Deine heiligen Apostel mahnen. O HErr, sei gnädig uns armen Sündern. Amen.




Am zwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Ephes. 5, 15–21.
15. So sehet nun zu, wie ihr vorsichtiglich wandelt, nicht als die Unweisen, sondern als die Weisen. 16. Und schicket euch in die Zeit; denn es ist böse Zeit. 17. Darum werdet nicht unverständig, sondern verständig, was da sei des HErrn Wille. 18. Und saufet euch nicht voll Weins, daraus ein unordentlich Wesen folgt; sondern werdet voll Geistes, 19. Und redet unter einander von Psalmen und Lobgesängen und geistlichen
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/510&oldid=- (Version vom 1.8.2018)