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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Der Arme nimmt, der Reiche gibt mit Demuth und Dank. Jeder hält und erkennt seinen Beruf – heiße er Geben oder Nehmen – für göttlich, und so geht man Hand in Hand, Christi Willen vollziehend, vorwärts – und die Bestätigung der christlichen Gemeinschaft durch Aufhebung aller Armuth macht die Kirche zu einem Augenmerk der Menschen und Engel, ja auch der Welt, deren Kinder selbst noch von den Brosamen und dem Ueberblieb des Tisches der Gotteskinder genährt werden, und mit erfahren, welch’ ein Segen es ist, daß es in der geizigen, mitleidlosen Welt noch eine Kirche gibt, die kein zeitlich Gut für sich, sondern nur für Christum und Seine Armen besitzt. – Noch habe ich, meine Brüder, die Gottesworte nicht genannt, in welchen sich dieser Sinn ausspricht; aber so wie ich sie nenne, werdet ihr mir zugeben, daß ich keine falsche Lehre oder Vermahnung vortrug. „Der unterrichtet wird mit dem Wort, der theile mit allerlei Gutes dem, der ihn unterrichtet.“ – „Laßet uns Gutes thun an Jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“ Worte, die alles in sich schließen, was ich sagte, – deutlich redend, aus denen sich für das praktische Leben unzählige Folgerungen ziehen laßen.

 Für den Gehorsam gegen diese Gebote Christi setzt der heilige Apostel noch Verheißung und Drohung hinzu. Um diese Verheißung und Drohung zu verstehen, muß man vor allen Dingen über zwei Ausdrücke Licht bekommen, welche unser Text enthält, nemlich über die Ausdrücke „auf das Fleisch säen, auf den Geist säen.“ Säen heißt beide Male nichts anderes, als Geben, das Zeitliche verwenden; es kann nach dem Zusammenhange nichts anderes heißen. Für eine doppelte Saat ist nun ein gedoppelter Acker genannt, Fleisch und Geist. Fleisch und Geist sind als Saat- und Aerntefelder dargestellt. Sein Zeitliches auf das Fleisch säen kann nichts anderes heißen, als das Zeitliche auf das Fleisch, also auf die Sünde verwenden. Es auf den Geist säen kann umgekehrt nichts anderes heißen, als es auf das verwenden, was des Geistes ist; scharf am Text zu verbleiben: auf Unterstützung armer Lehrer des göttlichen Wortes, armer Glaubensgenoßen und anderer Nothleidenden. Es ist ein außerordentlich fürnehmer und herrlicher Titel für die Barmherzigkeit, wenn sie eine Saat auf den Geist genannt wird; aber so ist es eben und wir können aus dem Ausdruck lernen, wie hochgeschätzt bei Gott die gebende Barmherzigkeit sei. – Wer nun sein zeitlich Gut auf das Fleisch, auf zeitliche Zwecke verwendet, was wird der ärnten? „der wird vom Fleische Verderben, Fäulnis ärnten.“ Der Same wird verderben, wie eine Frucht in der Erde. Kein Ertrag wird werden, auch die Saat wird verloren sein. Was wird hingegen die Saat ertragen, welche auf den Geist gesäet wird, – was wird die Verwendung des zeitlichen Gutes auf Zwecke des heiligen Geistes hervorbringen, auf Unterstützung von Lehrern, Glaubensgenoßen und Ungläubigen? Ewiges Leben, denn das sagt unser Text. Nicht daß wir ewiges Leben für uns damit verdienten, aber daß wir bei andern ewiges Leben fördern. Wer den Lehrer des Evangeliums unterstützt, unterstützt das Evangelium selbst, das ohne Prediger nicht erschallen kann; wer aber das Evangelium unterstützt, der verbreitet Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit. Wer die armen Glaubensgenoßen unterstützt, unterstützt die Kirche, die der Lehrer und des Evangeliums Leuchter ist; er läßt das milde Licht der Liebe leuchten, an dem sich die Kirche freut und welches die Weltkinder zur Kirche, zum Leben lockt. Und wer endlich die armen Ungläubigen mit Barmherzigkeit heimsucht, der ist ihnen wie ein Johannes, der auf Christum weist. Er zeigt ihnen Den, von dem alles barmherzige Lieben Seiner Gläubigen stammt und ladet sie kräftig ein, zu Ihm zu kommen, als zum Quell des Lebens. So verwächst die Barmherzigkeit mit dem Reiche Gottes und seiner Förderung, und es ist also, wie für’s Fleisch eine schreckliche Drohung, so für den Geist eine glänzende Verheißung gegeben.

 Die Verheißung gehört jedoch nur denen, welche dem Gesetze Christi, von dem der Apostel redet, treulich gehorsam sind. Barmherzigkeit im angegebenen Sinne muß Zustand, nicht vorübergehende oder gar seltene Stimmung sein. Ein Christ erkennt seinen lebenslänglichen, seinen unaufhörlichen Beruf in der Barmherzigkeit. „Als wir denn nun Zeit haben“, d. i. so lange wir Zeit, die Lebenszeit haben, laßet uns das Gute an Lehrern, Glaubensgenoßen und allen Menschen thun. „Laßet uns Gutes thun, heißt es, und nicht müde werden; denn zu seiner

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/482&oldid=- (Version vom 1.8.2018)