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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Verkehrung der Wahrheit ist es nicht bloß nöthig, recht oft und scharf die reine Lehre zu betonen, sondern die nothwendige Verbindung eines heiligen Lebens mit dem rechten Glauben hervorzuheben. Es gibt ein pur menschliches und fleischliches Vertrauen auf die göttliche Lehre von der Gerechtigkeit allein aus Glauben; dies unterscheidet sich von dem aus dem Geiste Gottes kommenden Glauben und Vertrauen, wie die Erde vom Himmel, und wird an dem Leichtsinne des Lebens erkannt. Wer die hohe, geistliche Lehre geistlich gefaßt hat, der geht nicht, wie so viele Orthodoxe des achtzehnten Jahrhunderts, mit der Lehre von der Gerechtigkeit allein aus Glauben auf den Lippen mitten in die Strömung der Welt hinein, und läßt sich von ihr treiben, wohin sie will. Mit dem Munde singen: Aus Gnaden soll ich selig werden, und dabei weltförmig, ja geradezu ein Weltkind sein, das verdient alle die Geißelhiebe, welche von Seiten der Pietisten der todten Orthodoxie gegeben wurden, und wenn man in der neuen Zeit zuweilen einmal gesagt hat, die Lutheraner hätten keine Selbstgerechtigkeit der Werke, aber ihrer viele trieben ein eitles, selbstgerechtes Spiel mit ihrer reinen Lehre, und thäten geradezu so, als ob man nicht aus Glauben, sondern durch die Lehre selig würde, so ist diese Rede nicht gar so sehr zu verwerfen, daß man sich nicht einmal darnach prüfen müßte. Wenn St. Paulus, der Mann von leuchtendem, untadelhaftem Wandel den Werken allen Ruhm abspricht, dem Glauben allen Segen zuspricht, so ist das etwas ganz anderes, klingt auch ganz anders und macht einen ganz anderen Eindruck, als wenn der muthwillige Sünder sich alle Tage aufs neue in alten Sünden badet und sich dabei erfrecht, von der Gerechtigkeit allein aus Glauben zu reden. Das sei euch zur Warnung gesagt, die ihr paulinische Predigten von der Gerechtigkeit allein aus Glauben leider nicht brauchen könnt, weil ihr, wenn nicht selbstgerecht, doch aber selbstzufrieden seid in allen euren Sünden. Ruhm aber und Preis sei dem HErrn für Seine heilige Lehre von der Gerechtigkeit allein aus Gnaden, allein durch Christum, allein aus Glauben, für diese feste Burg und Zuflucht gejagter Seelen, für diese einzige Ruhe aller wahrhaft wachen, gläubigen und heiligen Menschen. Amen.




Am vierzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Gal. 5, 16–24.
16. Ich sage aber: Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen. 17. Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch. Dieselbige sind wider einander, daß ihr nicht thut, was ihr wollet. 18. Regieret euch aber der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz. 19. Offenbar sind aber die Werke des Fleisches, als da sind Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht, 20. Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord, 21. Saufen, Freßen und dergleichen; von welchen ich euch habe zuvor gesagt und sage noch zuvor, daß, die solches thun, werden das Reich Gottes nicht ererben. 22. Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit. 23. Wider solche ist das Gesetz nicht. 24. Welche aber Christo angehören, die kreuzigen ihr Fleisch sammt den Lüsten und Begierden.

 VOn den zehen Aussätzigen, deren Heilung, und dem Danke des einen geheilten Samariters handelt das Evangelium; die Epistel aber redet von dem Widerstreit, der in dem Christen ist zwischen Geist und Fleisch, von der doppelten Möglichkeit, Werke des Fleisches zu üben und Früchte des Geistes zu bringen, und von dem Wege, jene zu vermeiden, diese aber zu bringen. Zwischen

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 093. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/469&oldid=- (Version vom 1.8.2018)