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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

entgegen, aber es fehlt Form, Gestalt und Weise, wie man das Licht der Gnaden faßen und dadurch selig werden soll.

 Dagegen wird uns nun in der Epistel völlig genug gethan. Ehe der HErr am Kreuze vollendet hatte, redete auch Sein eigener Mund von dem Wege zum Heile nicht mit derjenigen Klarheit und Deutlichkeit, welche hernach Seinen Aposteln gegeben wurde. Das Wort Christi ist reicher, tiefer, allseitiger, vollkommener, als das der Apostel. Der den Geist ohne Maß hatte und aus der bewußten Mitte Seiner einzigen Weltstellung heraus redete, führt eine Sprache, der gegenüber auch die apostolische Inspiration nur wie ein Bach ist gegen das unermeßliche Meer. Das schließt aber nicht aus, daß uns von den Aposteln, namentlich von Paulo, dem eigentlichen Lehrer und Schriftsteller vom Wege des Heils, eine Weisung gegeben wird, welche durch ihre Deutlichkeit unserer Schwachheit erst recht zu Hilfe kommt. Christus ist Weg, Wahrheit, Leben. Der heilige Geist leitet die Apostel in alle Wahrheit, und sie hinwiederum thun es uns in der Kraft und Unterstützung des heiligen Geistes. So laßt uns nun einmal sehen, was uns St. Paulus in der Epistel sagt. Am Ende werden wir uns über den Weg des Heils ganz wohl unterwiesen erkennen.

 Die Epistel zeigt uns nun einmal die großen Heilsthaten Gottes; dann, wie wir uns aus ihnen das Heil aneignen können, und endlich das Verhältnis unsrer Werke zu dem Heile oder Heilswege. Eins nach dem andern von diesen dreien betrachten wir.

 Die Heilsthaten Gottes werden im Texte nicht alle und jede aufgezählt, sondern nur der Mittelpunkt von allen. Damit ist dann alles begriffen. Der Mittelpunkt aber der Heilsthaten Gottes ist Christi Tod und Begräbnis, Seine Auferstehung und deren Offenbarung.Unter dem Ersten, was ich euch überliefert habe, schreibt St. Paulus an die Corinther, ist das, was auch ich überliefert bekommen habe,“ nemlich überliefert von Christo. Aus diesen Worten Pauli sieht man, daß er Erstes, Mittleres und Letztes in seinem Lehrgang gehabt haben muß, daß er eine Ordnung eingehalten hat, die er für gewöhnlich nicht überschritt. Gewisse Dinge lehrte er seine Schüler gleich anfangs und vornherein; durch sie legte er als ein weiser Baumeister den Grund. Unter diesem Ersten aber war wieder das Vornehmste Christi Tod und Auferstehung, wie sich das auch in allen Reden Pauli und der übrigen Apostel in der Apostelgeschichte zeigt. Es wurde jedoch von den Aposteln der Tod und die Auferstehung Christi nicht bloß als größte Wunderthat Gottes und als Erweisung des Heiligen Gottes gezeigt, wenn sie zu den unwißenden Juden und Heiden kamen, ihnen zu predigen; sondern der Tod und damit auch die Auferstehung, wurden als Heilsthat Gottes, d. i. zugleich mit der Absicht, welche Gott dabei hatte, unser Heil zu schaffen, dargelegt. „Ich habe euch überliefert, was auch ich empfangen habe, sagt Paulus, nemlich daß Christus gestorben ist für unsre Sünden.“ Christi Tod zu unserm Heil, das ist die erste gewaltige, eingreifende Heilsthat Gottes. Das Begräbnis wird hinzugesetzt, weil dadurch die Gewisheit des Todes außer Zweifel gesetzt wird. Dann aber wird als fernere, große Heilsthat hingestellt die Auferstehung. „Ich habe euch überliefert, daß Christus begraben ist und daß Er auferstanden ist“; so lesen wir im Texte. Wie nun aber neben dem Tode JEsu Sein Begräbnis als Beweis des Todes erwähnt wird, so wird neben und nach der Auferstehung die Offenbarung derselben hervorgehoben, wie sie in den mancherlei Erscheinungen des auferstandenen Christus vor verschiedenen und vielen Zeugen gegeben ist. Christus Selbst will, daß die Jünger das Zeugnis der Weiber von Seiner Auferstehung hinnehmen und sich auf dasselbe gründen. Eben so will Er, daß sich die ganze Welt auf das Augenzeugnis der Jünger gründe. „Ich habe euch überliefert, heißt es deswegen, daß Christus dem Kephas erschienen ist, darnach den Zwölfen, dann ist Er erschienen über fünfhundert Brüdern auf ein Mal, von denen die meisten bis jetzt übrig sind, etliche aber auch entschliefen. Darnach erschien Er Jacobo, darnach allen Aposteln, zuletzt aber von allen erschien Er wie einer unzeitigen Geburt auch mir.

 Da sehen wir also die Heilsthaten Gottes. Von ihnen versichert der Apostel, daß sie „nach den Schriften“ des Alten Testamentes, also nach vorbedachtem Rathe und vorgängiger Offenbarung Gottes

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 075. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/451&oldid=- (Version vom 1.8.2018)