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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

welche dem Vater zugeschrieben wird, ist ein Anfang aller Dinge, die Erlösung eine Befreiung und Wiederbringung, die Heiligung ein Wirken von Innen nach Außen. Wie nun in der Schöpfung nicht bloß der Vater, sondern auch der Sohn und Geist, in der Erlösung nicht bloß der Sohn, sondern auch der Vater und Geist wirksam sind, so sind auch in der Heiligung, zu welcher alle Charismen, Dienste und Aemter und Wirkungen gehören, nicht bloß der Geist, sondern auch, wie unser Text lehrt, Vater und Sohn wirksam. Die Heiligung und Führung der Kirche hier auf Erden ist vornehmlich des Geistes Werk und was auf ihrem Gebiete geschieht ist daher in Summa mit demselben Rechte geistlicher Gabe, „das, was des Geistes“ ist, genannt, wie die Erlösung des Sohnes, die Schöpfung des Vaters Werk sind. Dennoch aber wirken alle Personen zu Einem Ziele: der Geist beginnt durch Charismen, der Sohn führt sie in Dienste und Aemter, der Vater gibt Gedeihen und Wirkung. Feuer, Licht oder Strahl und endlich Wärme sinnbilden den Fortschritt und Zusammenhang der geistlichen Gaben. Wir aber neigen uns vor dem HErrn und erkennen dankbar, was Er uns als geistliche Gaben zeigt.


 Da wißen wir nun, woran des Geistes, des Sohnes, des Vaters Anwesenheit in der Gemeinde erscheint, nämlich an Charismen, Aemtern und Wirkungen. Wer die Gegenwart des Dreieinigen sucht, der achte auf Seine Zeichen. Wo ER ist, sieht man die Wolken- und Feuersäule Seiner geistlichen Gaben. Es ist genug Beweis, daß ER da ist, wenn man diese Seine Zeichen inne wird. Was will Er aber? Was sollen Seine Zeichen? oder mit den Worten unsrer vierten Frage zu reden: „Wozu werden alle geistlichen Gaben verliehen?“ Darf einer sein Charisma als persönliche Auszeichnung betrachten und damit in die Stille gehen, sich selbst drin spiegeln, von andern etwa bloß Anerkennung des verliehenen Pfundes verlangen? Dient der heilige Geist der Selbstsucht? Wird Er dem geistlichen Stolze dienen? – Leichte Antwort. Indem ich vom „verliehenen Pfunde“ redete, dachte ich selbst und erinnerte ich euch an das Gleichnis von den verliehenen Pfunden. Wir wißen aber alle, wie es dem Knechte ergieng, welcher sein Pfund im Schweißtuch vergrub. Es bedarf jedoch nicht einmal der Erinnerung an andere Gleichnisse und Texte. Wir haben ja in unserm Texte gehört, daß der Geist die Charismen, die Gaben, die Pfunde, der Sohn Aemter, Dienste, Berufe, Arbeitskreise für die Gaben, der Vater Segen, Gedeihen und Wirkung gibt. Wie vertrüge sich damit ein selbstsüchtiges Behalten, Begraben, und Bewahren eines Charisma’s? Vorwärts führt Gott Seine Heiligen: erst Fähigkeit – dann Beruf – dann Erfolg; so geht man in der Kirche Gottes. Wenn geschrieben steht: „Wer Korn inhält, dem fluchen die Leute“; so wird wohl Gottes Fluch den treffen, der geistliche Gaben inhält. Damit man aber für diese Antwort auf unsre Frage, die sich so leicht gibt und festhält, ja nicht im Zweifel sei, so heben wir den 7. Vers des Textes in die Höhe und verkündigen das Wort Pauli, der da sagt: „Einem jeden aber wird die Erweisung des Geistes gegeben zum gemeinen Nutzen“ oder, wie Luther übersetzt: „In einem jeglichen erzeigen sich die Gaben des heiligen Geistes zum gemeinen Nutzen.“ Hier steht es unzweifelhaft und klar, wozu alle Gaben, Aemter und Wirkungen gemeint sind. Die Kirche ist ein Leib, in welchem jedes Glied für das Wohl des ganzen Leibes arbeitet. Die Kirche ist eine Gemeinschaft vieler, deren jeder für seine Brüder lebt. Jeder hat den Lebensberuf, zu dienen. Wer nicht dient, des Leben ist eitel, – dem gerathen die verliehenen Gaben zur Last, zur Anklage, zur Verdammnis. Da gibt es keine, die sich absondern dürfen, wenn nicht die Sonderung zum gemeinen Nutz ist; – keine Einsiedler gibt es, es müßte denn sein, daß sie in ihrer Stille den gemeinen Nutzen am besten schafften; – kein Versenken des Samens des einzelnen Lebens in die stille Erde, es müßte denn dafür eine reiche Aehre für den gemeinen Nutzen zu erwarten stehen. Kurz, man empfängt weder das Leben, noch irgend eine natürliche, noch irgend eine Gnadengabe zu anderem Zwecke, als allen zu dienen. Wer sich selbst mit höchstem Fleiße dient, ist ein Müßiggänger und Faullenzer im Reiche Gottes; wer sich verzehrt und opfert für den Segen aller, ist Christi Weg gegangen, hat sich und andern am besten gerathen und seines irdischen Lebens heilige irdische Absicht erreicht. Das merke sich jeder und achte sich darnach.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 070. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/446&oldid=- (Version vom 1.8.2018)