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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Kinder“ für recht erkennen. Wir sagten nemlich auch: die seien Gottes Kinder, welche Seine Erben und Miterben Christi seien. Diese Antwort aber ist getreu aus Vers 17 des Textes genommen, wo wir lesen: „Seid ihr aber Kinder, so seid ihr auch Erben, nemlich Gottes Erben, Miterben aber Christi.

 Diese zweite Antwort auf unsre Frage weist allerdings eben so auf die Zukunft, wie die erstere auf die Gegenwart. Den Geist müßen wir hier schon haben, er ist, wie die Schrift sagt, „das Pfand unsers Erbes“. Das Erbe, das Erbe Gottes und Miterbe JEsu aber liegt über diese Zeit und die gegenwärtige Weltperiode hinaus, wir warten darauf. Es ist daher diese zweite Antwort für viele gar keine; denn wenn sie fragen: „welche sind Gottes Kinder“, so fragen sie eben so wenig nach deren verborgenen, ihnen aufbehaltenen Zukunft, als nach ihrer wesentlichen Beschaffenheit, sondern nach den Kennzeichen. Sie sind kaum mit der ersten Antwort zufrieden, weil sie da erst wieder fragen müßen, wer hat den heiligen Geist? Die zweite Antwort ist ihnen gering. Wir hingegen, die wir Gottes Kinder nicht erst suchen, sondern uns unserer eigenen Herrlichkeit nur völlig klar und bewußt werden wollen, wir freuen uns beider Antworten, auch der zweiten, die unsre Hoffnung stärkt, indem sie von ihr spricht und uns innerlich derselben gewis macht, indem sie uns die äußere Bestätigung des göttlichen Wortes von ihr bringt. Wir faßen uns, heben unsre Augen auf, sehen auf die Taufe als den Anfang des Christenlaufes und verfolgen denselben, so weit es immer möglich, in die unabsehbaren Fernen der Ewigkeit, und urtheilen von dem Ganzen, das wir meinen, in dem wir sagen: die sind Gottes Kinder, welche hier das Pfand, den Geist, dort aber das Erbe Gottes, das Miterbe JEsu haben.

 Es könnte nun etwa einer erwarten, daß ich sofort auslegen werde, was Erbe Gottes, Miterbe JEsu sei. Allein das ist ein Gegenstand von so hinreißender Macht, daß man, wie er selbst unendlich ist, auch der Worte kein Ende zu finden in Gefahr ist. Ich lege nicht aus, ich faße höchstens alles in die Worte zusammen „ewige Seligkeit, ewige Herrlichkeit“. Diese sagen kurzen Lautes was die Propheten, was St. Johannes in der Offenbarung, was die heiligen Apostel, wenn sie gewürdigt werden den Vorhang zu lüften, der jene Welt verhüllt, mit überströmenden Worten sagen. Ich möchte in meinem heutigen Gedankengang auch weniger das Wort Erbe und Miterbe betonen, als die Worte Gottes, Christi, Erbe Gottes, Miterbe Christi. Wen beerben Gottes Kinder? Mit wem erben sie? Der alte Gott ist es, den wir beerben, der aber selbst nicht aufhört zu besitzen, wenn Seine Millionen von Kindern in’s Erbe eintreten, – der ewig jung und ewig reich bleibt, wenn vor Seinem Angesichte die Schaar der Kinder sich mehrt. Und mit wem erben sie? Wer ist der Erben neidloser Erster und Herzog? Der, mit welchem zu leiden schon Seligkeit genannt werden kann, wie viel mehr der gemeinsame Eintritt in den ewigen Besitz und die gemeinsame Freude des Besitzes. Wahrlich, wenn Gottes Kinder Gottes Erben und Miterben des Messias oder Christus sind, so ist das etwas mächtig zur Kindschaft Ziehendes und Lockendes. Denn der Mensch hungert nach einem ewigen Loose – und gewis, so findet er es herrlicher, als ers ahnen und hoffen konnte. So ziehe denn und locke das Erbe so viel es kann, und die gedoppelte Antwort vom Besitz des Geistes hier und dazu dort des ewigen, unvergänglichen Erbes erfülle uns alle mit der rechten Ehrerbietung vor der Würde eines Kindes Gottes.

 Wir hätten füglich noch eine dritte Antwort auf unsre Frage aus unserm Texte nehmen können. Der 17. Vers sagt nemlich: „Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nemlich Gottes Erben und Miterben Christi, so wir nemlich mitleiden, auf daß wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.“ In diesen Worten ist ja unwiderleglich ausgesprochen, daß wir, daß die, welche Gottes Kinder und Erben und JEsu Miterben sind, hier in dieser Welt auch mit Ihm und wie Er leiden müßen. Wir werden miterben, sofern wir auch mitleiden, – wir sollen mit Ihm leiden, auf daß wir mit Ihm zur Herrlichkeit erhoben werden. Also ist Herrlichkeit und Leiden, Erbe und Leiden, Kindschaft und Leiden verbunden. Warum also habe ich dennoch nicht das Leiden um der Sache JEsu willen, Haß und Verfolgung der Welt als dritte Antwort auf unsre Frage aufgestellt? Nicht deshalb, weil ich es nicht wirklich für die größte Ehre hielte, mit Christo

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 053. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/429&oldid=- (Version vom 1.8.2018)