Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/418

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Christi wird auf unser Leben eine Einwirkung haben. Ist unser alter Mensch mit Christo getödtet und begraben, so muß, wie Christus Selbst durch die Herrlichkeit Seines Vaters im unsterblichen Leibe der Verklärung auferweckt ist, auch in uns ein neuer Mensch auferweckt werden aus dem Grabe JEsu. Das ist es ja nun auch, was unser Text sagt.

.

 Aber hier, meine lieben Brüder, kann die doppelte Anwendung, welche unser Text von unserer Gemeinschaft am Tode und der Auferstehung JEsu Christi macht, nicht länger verschwiegen werden, da unser Text seiner ganzen Absicht nach auf die eine Anwendung, namentlich bei der Gemeinschaft der Auferstehung mehr dringt, als auf die andere. Wir sind mit Christo gestorben, wir leben mit dem Auferstandenen. Das hat eine doppelte Wahrheit, die eine für das göttliche Gericht, die andere aber für unser eigenes inneres Leben. Wir sind mit Christo gestorben, das heißt, wir sind mit Ihm gestraft, und unser Tod ist nun keine Strafe mehr, sondern der Eingang zu einem ewigen Leben auch unseres Leibes. Wir leben mit Christo, das heißt, wir werden auferstehen wie Er, sein, wo Er ist, mit Ihm leben ewiglich. Durch den Tod und die Auferstehung Christi sind also alle wohlverdienten Strafen unserer Sünden in Zeit und Ewigkeit weggenommen, und es ist Friede und Freude für uns bei Gott im Himmel. Aber es gibt auch eine innere sittliche Wirkung der großen Veränderung, welche in Anbetracht unser durch den Tod und die Auferstehung JEsu Christi eingetreten ist und gerade diese sittliche Wirkung ist es, welche in unserem Texte mächtig hervorgehoben wird. Dieser Text bildet ja im Zusammenhang des Briefes Pauli an die Römer im Grunde nur einen Beweis für die beiden ersten Verse des Kapitels. „Was sollen wir denn nun sagen? Sollen wir in der Sünde beharren, auf daß die Gnade desto mächtiger werde? Das sei ferne. Die wir der Sünde gestorben sind, wie sollen wir noch ferner in ihr leben?“ Das sind die Eingangsverse des Kapitels, an welche sich unmittelbar unser Text anschließt, der keine andere Absicht hat noch haben kann, als zu beweisen, daß wir nicht ferner sündigen können, sondern heilig leben müßen, weil wir mit Christo gestorben und auferstanden sind. Wir sind also nicht bloß mit Christo gestorben, weil Er an unserer Statt unsere Strafen und unsern Tod getragen und uns ein ewiges Leben erworben hat; sondern die Wahrheit: „Ist Einer gestorben, so sind sie alle gestorben; JEsus lebt, und wir mit Ihm“ soll uns selbst innerlich dermaßen durchdringen, daß wir keine Lust und Neigung mehr haben zur Sünde, die Ihn ans Kreuz und in das Grab gebracht, wohl aber zu einem Leben, das Seinem auferstandenen Leben ähnlich ist. Diese Wirkung des Todes und der Auferstehung JEsu ist allerdings mächtig unterschieden von der erstgenannten. Man kann sie eine Wirkung auf Erden nennen, jene aber eine Wirkung im Himmel. Man hat Ursache, die beiden Wirkungen zu unterscheiden und auseinander zu halten, so wie Himmel und Erde verschieden sind; das erfordert die Ruhe und das unangefochtene Heil unserer unsterblichen Seelen. So wie man die eine Wirkung in die andere mengt, wird uns Ziel und Weg verdunkelt und wir kommen in Gefahr. So nöthig aber die Unterscheidung ist, so nöthig ist es auch, daß beide Wirkungen vorhanden seien, und daß die Gemeinschaft des Todes und Lebens Christi sich auf Erden erweise wie im Himmel. Davon haben wir auch nach unserem Texte zu reden. Wir sind mit dem HErrn gepflanzt zu gleichem Tode, aber auch zu gleicher Auferstehung und wißen wohl, daß unser alter Mensch mit Ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde aufhöre und nicht mehr der Sünde diene. Was ist mit diesen Worten des Apostels gesagt, wenn nicht, daß aus der Gemeinschaft des Todes JEsu für uns ein innerliches Absterben für die Sünde folge und die elende Knechtschaft ein Ende nehme, die unsern Leib im Dienste der Eitelkeit und des Bösen dahin zieht und reißt und zerrt? Wir sind mit Christo gestorben, und wer gestorben ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde. Das kann nichts anderes heißen, als, wer mit Christo gestorben ist, und in der Gemeinschaft Seines Todes steht, für deßen Sünde ist Genugthuung geschehen, er ist frei gesprochen von aller seiner Anklage, Schuld und Strafe; aber nicht blos das, sondern in seinem Herzen ist nun auch der Zwang der Sünde zu Ende und in dem Freispruch Gottes wurzelt tief der Drang und Trieb nicht mehr ein Sclave des Bösen zu sein, um welches willen der HErr hat sterben müßen und wir mit Ihm. Die Rechtfertigung Gottes, welcher die Todten frei spricht, die in Christo JEsu Todten, ist

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 042. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/418&oldid=- (Version vom 1.8.2018)