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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Er muß feurige Kohlen auf die Häupter derjenigen sammeln können, die ihm mit blutigem Haß und unversöhnlicher Bosheit begegnen. Er muß auch in den Kindern des Verderbens noch Erben des Lebens sehen und ihnen so gewis mit Huld und Freundlichkeit begegnen können, als er hofft und wünscht, daß ihm ein Gleiches von Christo JEsu begegnen möge. Wer das kann, darin sich übt, Fertigkeit erlangt und Meister wird, der allerdings ist auf dem Wege der Vollendung, der folgt dem Apostel nicht bloß im Gedanken, der steigt wirklich von Stufe zu Stufe aufwärts und an dem kann man lernen, wie die Ermahnungen der allgemeinen, ja der Feindes-Liebe, welche der 2. Vers unseres Textes enthält, die vorausgehenden Ermahnungen zur Bruderliebe und ihren heiligen Tugenden krönen und überbieten.

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 Wie schön sind die Worte des heiligen Petrus, wie wohl gefällt ihm selbst der Inhalt, wie gewis ist er, daß er damit nichts anderes sagt, als Göttliches! Er bestätigt alles, namentlich aber, was er zuletzt von der Feindesliebe gesagt hat, mit Stellen aus Psalm 34., jenem Lieblingspsalme der christlichen Kirche, den sie so gerne vom Anfang her beim heiligen Abendmahle sang, aus einem Psalme, welcher dem Apostel selber besonders lieb und angenehm gewesen sein muß, – und schreibt feiernd und seine Vermahnung in die Herzen einsenkend die herrlichen fünf Verse vom 13. bis zum 17. in seinen Text: „Wer leben will, sagt er, und gute Tage suchen, der schweige seine Zunge vom Bösen und seine Lippen, daß sie nicht trügen; der weiche vom Bösen und thue Gutes, suche Frieden und jage ihm nach. Denn die Augen des HErrn sehen auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Flehen. Das Angesicht des HErrn aber über die, so Böses thun.“ Die Psalmenstelle nimmt in ihrem Gedankenlauf den umgekehrten Weg von dem der epistolischen Stelle, beginnt mit dem Preis des Stillschweigens, aber nicht eines Stillschweigens im Allgemeinen, sondern nur in Anbetracht des Bösen und des Trugs. Da nun dieser Anfang der Psalmenstelle zum Schluße der vorausgehenden Verse paßen muß, so kann man unter dem Bösen nichts anderes verstehen, als Schimpf und Scheltwort, unter dem Truge gleichfalls nichts anderes, als die mit Schimpf und Scheltwort verbundene Lüge und Bosheit; und des Apostels Wille kann zunächst bei Verbindung dieser Gedanken kein anderer sein, als daß der Christ gegenüber dem Schimpf und Unglimpf und Trug der Welt ein tiefes heiliges Schweigen üben solle. Der Psalm ergänzt die petrinischen Worte, aber diese ergänzen ihrerseits wieder den Psalm, weil sie gegenüber Schimpf und boshaftem Lug und Trug den Befehl der guten Wünsche und des Segnens enthalten, – einen Befehl, der mit großer Klugheit ausgeführt werden muß, und dabei mit einer hervorstechenden simplen Aufrichtigkeit, wenn er nicht wie feurige Kohlen, ja am Ende gar wie Hohn und Spott wirken oder im umgekehrten Falle selbst verhöhnt und verlacht werden soll. Von dem Verbote der Zungensünden schreitet die Psalmenstelle in allgemeineren Sätzen zur Darstellung eines heiligen und unschuldigen Wandels fort. Zungen und Lippen sollen von Bösem schweigen; ebenso soll das ganze Leben vom Bösen laßen, und wie die Zunge statt zu schelten und zu schmähen die Feinde segnet, so soll der ganze Wandel sich im Thun des Guten verzehren. Damit schließt sich der Psalm an die ersten Worte des 9. Verses an, die auch allgemeinerer Art sind, nicht von der Zungensünde, sondern von der Sünde des ganzen Lebens abmahnen. Doch verfolgt der Psalm den einmal betretenen Gedankenweg in gleicher Richtung noch weiter als der apostolische Text. Er will nicht allein Sanftmuth, Unschuld und Lauterkeit des Lebens; er will ja ein Leben schildern, wie es sein muß, wenn man es lieben und gute Tage sehen soll. Um eine solche Aernte zu finden, muß man die Saat mit Fleiß und Sorgfalt streuen, mit bewußtem Ernste auf das Ziel losgehen, und allezeit dasjenige thun, was gute Tage fördert. Dazu aber bedarf es vor allen Dingen den Frieden, den Frieden mit Menschen, von welchem ein wahres Sprichwort sagt: Friede ernährt, Unfriede verzehrt. Dieser Friede aber ist an und für sich selbst eine so zarte Sache, und der Störenfriede sind in der Welt so viele, daß man ihn suchen muß mit Fleiß, und wenn er entfliehen will, ihn verfolgen und ihm nachjagen, wie man ein flüchtiges Reh jagt und verfolgt. Er ist es werth, der liebe Friede, mit aller Anstrengung und Aufopferung gesucht, gehalten und bewahrt zu werden; von guten Tagen ist der Friede, man darf wohl sagen, mehr als zur Hälfte die Ursache. Verwunderlich

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 035. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/411&oldid=- (Version vom 1.8.2018)