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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ja wie gar nicht auf eigne Kraft vertrauend, wie fromm klingt das, wie flehend, wie hilfsbedürftig! – So klingt es – und ist es nicht. Unklug ist es, ungläubig, so wenig auf Gott und seine Gnade als auf die eigne Kraft vertrauend, – und gestraft ist der Mensch, welcher so redet, wie ers verdient, denn er ist freudlos, geizig, misgünstig, neidisch, hartherzig, nur nach dem Eigenen begierig. Mit einer heiligen Macht schlägt der Apostel das Verdienst der Sorge nieder; er, der eine friedenvolle Fürsorge für die Zukunft, ein gläubiges, vertrauenvolles Entgegenarbeiten gegen die Uebel der Zukunft nicht verwirft, noch tadelt, spricht zu den Sorgenvollen, wie sie zu sein pflegen: „Sorget nicht“ und zeigt ihnen zur Ablegung der Sorge, zur Entwirrung der Seele aus ihren Stricken, einen einfachen Glaubensweg. Alle diese ängstigenden, peinigenden Gegenstände, diesen gesammten, tausendfachen Sorgeninhalt stempelt er mit einem einzigen Worte um, so um, wie die sorgende Seele ihn auch umstempeln und umwandeln soll, er nennt ihn Bitten, macht daraus Gegenstände des Gebets, Gebetesinhalt. Was ist unnützer, als aus lastenden oder drohenden Uebeln peinigende Sorgen zu machen, was ist glaubensloser, heimlich selbstgerechter! Aber was ist wahrer, was kann sich der Einsicht jedermanns mehr empfehlen, als die Lehre Pauli, daß alles was uns drückt und droht, Inhalt für Gebete ist. „Sorget nicht, sondern in allen Dingen laßet eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden,“ so spricht St. Paulus. Eure Lindigkeit laßt den Menschen kund werden, sagt er; eure zu Gegenständen des Gebets verwandelten Sorgen, eure Bitten laßt vor Gott kund werden. Die verkehrte Menschenseele will vor Gott gelind und milde sich gebärden, den Menschen aber theilt sie geschwätzig ihre Sorgen mit. Gerade umgekehrt, deine Lindigkeit erweise gegen jedermann, dein reiches, weites, wolwollendes Herz laß deine Brüder und Nächsten genießen; aber was dich quält und was du fürchtest, damit verschone die Menschen, aber sags dem in Gebet und Flehen, der dich höret und der alles wenden kann. Leg ihm alles betend und flehend an Sein frommes, treues Vaterherz, das dich mit deinem Unverstand und deiner Thorheit nicht verachtet, das dich kennet, was für ein Gemächte du bist, und Mitleid, Nachsicht und Erbarmen mit deinem Thun und Laßen, mit deinem Beten und Flehen hat. Wahrlich, es gibt kein anderes Mittel gegen die Sorgen, und wer nicht beten kann, bleibt, bis er’s lernt, ein armer, beladener Mensch, aber freilich durch seine eigne Schuld, also, daß er mehr zu tadeln und zu bestrafen, als zu bemitleiden ist. Sorgen sind schwere Steine: wer beten kann, hat allein die Stärke, sie zu heben, und nicht allein von sich in die Tiefe, sondern empor zu dem zu heben und zu werfen, dem aller Welt Sorge ein Kleines ist, der alle allein und im tiefsten Frieden versorgt. – Will aber einer nicht blos ein sorgenfreies, sondern auch ein fröhliches Herz bekommen und erhalten, der übersehe im Texte die zwei Worte nicht: „mit Danksagung.“ Der Dank ist wohl größer und schwerer als Gebet und Flehen, und es gibt viel weniger Menschen, die danken, als die beten und flehen können; aber anderer Seits ist auch das wahr, daß mancher, der nicht beten kann, der sich betend und flehend nicht recht vom Staub zu Gott erheben kann, die große Kunst, den Himmelsflug kann, wenn er größere Flügel, nemlich die der Danksagung, dazunimmt. Wenn einer daran gedenkt, was ihm Gott von Mutterleib und Kindesbeinen an, ja schon vor der Geburt für Wohlthat und Gutes bereitet und gethan hat – in der Schöpfung und Erlösung: da erweitert sich das Herz, da stärkt sich der Glaube, da lernt man Glaubensschlüße auf die künftige gnädige Führung des HErrn und auf seine Freundlichkeit und Güte, die da ewiglich währen. „Hat Er uns Seinen Sohn geschenkt, sollte Er mit Ihm nicht alles schenken?“ so schließt ein dankbar Herz. Ein solches Herz schließt aus der Geburt auf die Wiedergeburt, aus der Berufung auf die Erleuchtung, aus einer Stufe der Heilsordnung auf die andre, aus der Rechtfertigung auf die Gnade des kommenden Richters. Es lernt Schlüße, die von der Welt für unrichtig und trüglich, für toll und thöricht gehalten werden, ob welchen sich aber Gottes Engel freuen und alle Sorgen fliehen, die Freude und die Lindigkeit herbeieilt und die Seele von ihrem Erdenweh erlöst und mit der himmlischen Hoffnung auf die gnädige Erhörung erquickt. – O des trefflichen Lehrers der Heiden, welcher es versteht, die Vermahnung zu Freud und Lindigkeit einzuführen in zagende, bebende, weinende, heulende, sorgenvolle Seelen! der aber den Sorgen allen noch einen kräftigeren

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 034. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/41&oldid=- (Version vom 1.8.2018)