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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

man ist oberflächlicher geworden, zurückgesunken von der Höhe des Daseins, und das arme Herz wird von dem Gedanken geplagt, daß man je länger je schlechter kämpfe und vielleicht im entscheidenden Augenblick vor dem Feinde die Waffen strecke, weil man so wenig Grund und Wurzel in Christo JEsu hat. O ein trauriges, melancholisches, trübes Leben der alten Streiter JEsu, das Gott geklagt sei. Der HErr aber hat diese Noth schon erkannt von ferne, und durch Seinen heiligen Apostel Arznei verliehen, denn dieser spricht: „Er wird euch vollbereiten, stärken, kräftigen und gründen.“ Sein Thun und Treiben ist nicht allewege den Jüngern bekannt. Wenn Er am tiefsten in der Seele wirkt, ist oft die Oberfläche dieses Meeres am wenigsten bewegt, wie von Stürmen, so von sanftem Säuseln; es scheint nicht, als ob der HErr und Sein Sieg vorhanden wäre, aber erwarte nur den Augenblick und dann wird sichs befinden, daß nicht umsonst verheißen hat, der allezeit Wort hält, und nicht vergeblich gearbeitet, der Seine wunderbarsten Werke heimlich treibt. Da kommt der letzte Strauß, der brüllende Löwe, wandelt um den alten Streiter, die Bäche Belials brausen dazu und der Tag geht unter: Siehe, da findet man sich wunderbar gegründet in dem HErrn JEsu und Seinem Verdienst, nicht wankt der Streiter, sondern steht: schallend fallen die Schläge auf die Rüstung und die Funken sprühen von den Schwerdtern, – da widerstehet man fest im Glauben und empfindet Gnade genug, streitend das Leben auszuhauchen und zu der ewigen Herrlichkeit zu gehen. So ist dann der Lauf geschloßen unter vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen, das stille Martyrium des Christenlebens beendigt, die Seele gereift für die Herrlichkeit; gewonnen ist für immer. Voll demüthiger Erkenntnis aller Thaten Gottes an uns und alles eigenen Unwerthes macht man den Schluß hienieden und den Anfang dort, indem man dem HErrn entgegen singt: „demselben sei Ehre und Macht in die Ewigkeiten der Ewigkeiten.“

 Ja Ihm gebührt die Ehre, wie Sein ist die Kraft unseres Lebens und Kampfes. Er wirke nur in uns. Wenn Er in uns, mit uns, durch uns wirkt, können wir es ertragen, gar nichts in uns selbst zu sein, wenn wir nur Ihn haben und durch Ihn siegen und Er Seinen Kampf und Seine Werke in uns wirkt, so haben wir doch gewonnen. Ach, daß uns alles, aber auch alles geschehe nach dem Inhalt unserer heutigen Epistel, da sängen wir mit deren letztem Worte so fröhlich: Amen, uns ewig währe die Freude, Gott die Ehre. Amen.




Am vierten Sonntage nach Trinitatis.

Römer 8, 18–23.
18. Denn ich halte es dafür, daß dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht werth sei, die an uns soll geoffenbaret werden. 19. Denn das ängstliche Harren der Creatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. 20. Sintemal die Creatur unterworfen ist der Eitelkeit, ohne ihren Willen, sondern um Des Willen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung. 21. Denn auch die Creatur frei werden wird von dem Dienst des vergänglichen Wesens, zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22. Denn wir wißen, daß alle Creatur sehnet sich mit uns, und ängstet sich noch immerdar. 23. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir haben des Geistes Erstlinge, sehnen uns auch bei uns selbst nach der Kindschaft, und warten auf unsers Leibes Erlösung.

 DAs heutige Evangelium, aus Luc. 6, 36–42 genommen, handelt von einem Mitleid der Christen mit ihren Brüdern, welches in mannigfacher Beziehung nach der wunderbaren Weisheit und Vollkommenheit, die alle Reden Christi haben, dargelegt wird. Ein Gedanke des Mitleids, des Mitleidens und der Mitleidenschaft

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 025. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/401&oldid=- (Version vom 1.8.2018)