Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/397

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

selbst und sein Herumgehen uneigentlich zu nehmen und auf gewöhnliche und natürliche Gefahren des Lebens zu deuten. Das sei ferne. Im Gegentheil bin ich aus Gottes Wort überzeugt und vollkommen gewis, daß wir einen furchtbaren Widersacher an jenem großen, hochbegabten, aber abgefallenen Engel, dem Teufel, haben und daß er sich nicht bloß der ihm untergebenen geringen Geister bedient, die Kirche zu durchforschen und nach Seelen zu fahnden, die von Christo weichen, sondern daß ihn sein furchtbarer Hunger und Durst nach dem Verderben und Untergang aller Creaturen auch selbst treibt herumzugehen und im Reiche Gottes nach Beute zu schauen. Er ist zwar nicht allgegenwärtig, denn er ist eine Creatur, aber seine Bewegung geht mit einer Schnelligkeit und Behendigkeit vor sich, von der wir, eingeschloßen in Körper, keine Ahnung haben. Kann er nicht überall zugleich sein, so ist er doch bald da bald dort; niemand ist vor ihm sicher, jedermann ist in Gefahr, so bald er sich aus der Hand und Nähe Deßen begibt, der da spricht: „Niemand kann Mir Meine Schafe aus Meinen Händen reißen.“ Dabei ist jedoch nicht die Meinung, daß der Satan lauen, matten, unversuchten Christen mit unverwehrter Gewaltthat nahe; er hat ja die Macht nicht über die Täuflinge JEsu, sondern es bedarf einer Erlaubnis des allerhöchsten Richters, wenn er soll einen Menschen ergreifen und nach Leib und Seele verschlingen dürfen. Darauf hin deuten schon seine Namen „Teufel und Widersacher“. Der Name „Teufel“ deutet seinem Ursprung im Griechischen nach auf nichts anderes hin, als auf die Verläumdung, welche er vor Gott dem ewigen Richter aller Menschen gegen diese geltend machen möchte, so wie auch der Ausdruck „Widersacher“ zunächst nichts anderes meint, als einen Widersacher im Gericht. Es ist in unserer Textesstelle so wie in anderen in allem Ernste dasjenige festgehalten, was wir in den ersten Kapiteln des Buches Hiob lesen und was im letzten Buche der heiligen Schrift, der Offenbarung Johannes wiederklingt. Dort sehen wir den Satan vor Gott als Widersacher des frommen Hiob, und hier heißt er ohne Weiteres ein Verkläger unsrer Brüder. Seine Löwengier, uns zu verderben, kleidet sich gewissermaßen in eine rechtliche Form und das Gebrüll, von dem wir in unserem Texte lesen, in eine rechtliche Klage. Es ist daher der Christen höchste Angelegenheit, sich also zu verhalten, daß ihr größter Feind keine Klage findet, und eben dazu ermahnt der Apostel in den Worten: „Seid nüchtern und wachet.

.

 Immer sollen die Christen vor Leidenschaft sich hüten und vor dem Rausch der Seele, der durch Leidenschaft zu entstehen pflegt. Nimmer sollen sie sich dem geistlichen Schlafe hingeben, jener Sorglosigkeit und fleischlichen Sicherheit, nach der man glauben kann gewonnen zu haben und keines Aufmerkens mehr zu bedürfen. Es ist ja Nüchternheit und Wachen um so mehr nöthig, weil der Verkläger unserer Seelen nicht bloß mit argem Auge alle unsere Sünden belauert, und jede Bemerkung, die er machen kann, vor Gott zu unserem Verderben benützt, sondern uns auch noch überdieß zu Sünden anreizt und ganz gerne die Dinge selbst veranlaßt, um deren willen er uns verklagen will und durch welche er uns oft fällen und verschlingen zu können droht. Daran eben erscheint die gründliche Bosheit unseres Feindes, daß er uns selbst in die Sünden hineinstoßen will, um deren willen er uns vorhat zu verklagen. Er weiß, daß Recht muß Recht bleiben vor Gott dem HErrn und daß es dennoch eine wahre Klage ist, die er erhebt, wenn er auch selber der Anstifter und Ursächer alles des Bösen ist, auf deßen Bestrafung er dringt. Seine eigne Verdammnis ist so groß, daß er den Zuwachs nicht scheut, der ihm etwa aus neuer Sünde, an uns begangen, kommen könnte; ihm ist volle Genüge geschehen, wenn wir seiner Verdammnis, anstatt der ewigen Herrlichkeit Christi theilhaftig werden. Weil wir nun also nicht bloß sein lauerndes Auge, sondern auch seine Verführung und seine Reizung durch Lust und Schrecken zu fürchten haben, so ermahnt uns der Apostel nicht bloß zur Nüchternheit und zum Wachen, sondern auch zum getreuen Widerstand. „Dem widerstehet fest im Glauben,“ spricht er; unser Widerstand geschieht durch nichts anderes, als durch eine getreue, gläubige wiederholte Eintauchung unseres Willens in das Gebet. Wenn wir uns betend an unsern HErrn und Heiland halten und ihn zum Genoßen unseres Kampfes machen, so sind wir gegen den Wütherich wohl beschirmt. Wenn wir im Bewußtsein des harten Standes, den wir lieben, und der Feindschaft, welche uns umgibt, aus der Tiefe der Seelen rufen: „Laß mich

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 021. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/397&oldid=- (Version vom 1.8.2018)