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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

mittheilsam, lind und gütig, und zwingt auch die Herzen, die sonst die Güte für eitel Schaden halten. Wenn eine Taufe gehalten wird, wenn ein Vater sein Kind zum Gotteshause bringt, damit es durch das gnadenreiche Waßer des Lebens ein gnadenvolles Gotteskind werde, da lädt er seine Nachbarinnen und Freundinnen, daß sie mit ihm zur Kirche gehen und bewirtet sie freundlich. Die Freude macht ihn nachbarlicher, freundlicher, liebenswürdiger und liebreicher und gibt ihm Macht, das Seine also anzuwenden, daß andere einen fröhlichen Tag haben, – auch wenn er sonst diese Macht nicht hat, sondern sein Hab und Gut über ihn Herr ist und ihn knechtet. Ja, man hat bemerkt, daß viele Menschen, wenn ihnen eine große Freude zu Theil wird, ihr Herz also verwandeln, daß sie sich versöhnen können und vergeben und vergeßen. Eine solche Macht übt die Freude, selbst wenn sie irdischer, weltlicher, zeitlicher Art ist, über die Menschen aus, sie macht gelind.

 Nun aber ist die Freude des Weltmenschen oder des Gewohnheitschristen – denn alles Obengesagte kann auch von Gewohnheitschristen gelten – nur ein schwaches Abbild und ein Schatten der Freude in Christo. Wenn man sagen wollte, alle Freude heilige und beßere den Menschen, würde man ohne allen Zweifel zu viel sagen. Es ist nicht alle Freude heilig, darum kann auch nicht alle Freude heiligen und den Menschen beßern. Aber die Freude im HErrn ist heilig und muß darum auch heiligen und beßern, – und thut es auch, wie es am Tag ist. Und wenn man darum von der gewöhnlichen Freude der Weltmenschen und Alltagschristen oftmal die Erfahrung macht, daß sie das Herz erweitert und den Menschen lind macht; so kann es auch keine Frage sein, daß die Freude in Christo lind und mild und gütig machen müße. Ein in Gott erfreutes Herz gleicht einem vollen Bach – das Wort aber, welches der Apostel zu den in Gott Erfreuten sagt: „Eure Lindigkeit laßt kund werden,“ ist wie eine starke Hand, welche die Schleußen aufzieht und die Hähne öffnet, so braust die Freude in Lindigkeit hinaus in die Gräben und macht alles Land reich und fruchtbar. Sagt mir ja nicht, meine lieben Brüder, daß das nicht nöthig sei. Ich behaupte, es ist nöthig, es muß sein, es kann und darf nicht anders sein. Göttliche Freude macht barmherzig und milde. Sie thut es von sich selbst; wenn aber die Schleußen, wie es sein soll, gezogen und die Hähne geöffnet werden, d. i. wenn noch überdies dazu vermahnt wird, wenn Apostel rufen: „Eure Lindigkeit laßt kund werden“; da muß es um so mehr sein, denn die Seele inwendig kennt ihres HErrn Ruf und springt in willigem Gehorsam auf, wenn sie ihn vernimmt; – es ist dann, als hätten die Freudenwaßer längst gewartet, sich in Lindigkeit zu lösen, zu ergießen, als wären sie hoch aufgestaut gewesen; mit Freudenton geschieht, wozu vermahnt ist, mit Jubel üben gottselige, erfreute Seelen ihre Barmherzigkeit.

 „Das Wort ward Fleisch“ – ist das nicht Freudengrund? „Er wohnte unter uns“ – welche Lust! „Wir sahen Seine Herrlichkeit,“ welche Feier! „Als des eingeborenen Sohnes vom Vater,“ welche Erhebung! – „Er ist um unserer Missethat willen verwundet“ – wie unsere Bande springen! „Um unsrer Sünde willen zerschlagen“ – was für ein Aufseufzen der gejagten Seelen! „Die Strafe lag auf Ihm, auf daß wir Frieden hätten.“ – „Er hat sein Leben gegeben zu einer Erlösung für Viele.“ – „Er ist auferstanden, Tod, wo ist dein Stachel?“ – „Er ist in die Höhe gefahren – und hat das Gefängnis gefangen – und hat Gaben empfangen für die Menschen, – auch für die Abtrünnigen, – Er lebt immerdar und bittet für uns, – Er hat uns berufen von der Finsternis zum Lichte, von der Gewalt des Satans zu Gott“ –: was ist das, warum sag ich das, warum stoß ich es heraus in kurzen Sätzen? – Das heißt die Waßer stauen, die Freudenwaßer. Ist nicht jeder Satz und jedes Wort ein Freudengrund; wer kann Satz für Satz hören, ohne daß inwendig Hallelujah brausen? David rief sein Volk auf, Gott zu loben – und es jauchzte, daß die Erde bebte. Liegt nicht in jedem meiner Stoßsätze ein mächtig ergreifendes: „Laßt uns benedeien den HErrn!“ Soll ich’s fortsetzen – bis dahin, wo es heißt: „Siehe ich komme bald,“ bis zum: „Steht auf, der Bräutigam kommt?“ Werden denn eure Herzen nicht los werden von den Banden des Geizes, des Zornes, der Eigenliebe, der Weltlust? Wird es keine Wirkung auf euch haben? Nicht linde, nicht barmherzig machen, auch wenn ich Lindigkeit und Barmherzigkeit predige, empfehle, in JEsu Namen verlange, fordere, befehle?

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 032. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/39&oldid=- (Version vom 1.8.2018)