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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wurde, seinerseits Zeugnis geben von Christo – und der Verlauf seiner Rede ist von der Art, daß die ernste Hinweisung auf das Gericht, also auf die zweite Wiederkunft Christi, den Endpunkt bildet. Die erste und die letzte Zukunft Christi zeigt sich im Evangelium, und die Zukunft ins Herz durch Wort und Taufe wird ohnehin von Johanne, dem durchs Evangelium erwählten Prediger am Sonntag vor Weihnachten, mit aller Macht erstrebt. – Nicht minder ist auch die Epistel adventsmäßig. Es ist wieder die letzte Zukunft Christi, in deren Lichte man wandelt, wenn man diese Epistel liest. „Der HErr ist nahe,“ ruft sie und gibt damit allen ihren übrigen Worten Kraft und Nachdruck; und wenn etwa jemand diese Worte lieber auf die unsichtbare, geistige Nähe Christi deuten wollte, vermöge deren er unsre Sorgen lösen und unsre Gebete erhören kann; so zeigt der Zusammenhang mit dem vorausgegangenen dritten Kapitel, deßen Ende so feierlich den kommenden Christus predigt und das Warten der Kirche auf Seine letzte Erscheinung ausspricht, daß in der That die Worte, von denen wir reden, doch auf nichts anderes, als auf die Wiederkunft Christi zum Gerichte gehen. Der Geist und die Braut sprechen: „Komm bald, HErr JEsu!“ Er selbst spricht: „Ja ich komme bald,“ St. Johannes der Täufer spricht: „Er kommt nach mir,“ – und St. Paulus jubelt: „Der HErr ist nahe.“ So schauen wir denn in die Zukunft und lesen in ihrem Lichte diese Epistel.

 Es ist aber ein fröhliches Licht, welches aus diesem Texte kommt; kein schreckendes Angesicht zeigt uns der, „der da kommt,“ in ihren Worten. Ja so freundlich redet sie, daß man mehr geneigt wird, ihr „der HErr ist nahe“ von dem Kommen JEsu zu Seiner Geburtsfeier zu verstehen, als von dem Kommen zum Gericht. Jedes einzelne Wort hat Bedeutung vom Kommen zum Gericht; aber so süß ist jedes, daß es fast lautet, wie wenn es von den Lippen der gebenedeiten, wonnevollen Mutter käme, – wie wenn es die Engel über Bethlehem sängen. Kaum kann man sich des Gedankens erwehren, es sei bei der Wahl der Epistel für den Sonntag vor Weihnachten eine heilige Absichtlichkeit gewesen. Die fromme Zweideutigkeit, die Worte von der Geburt Christi und von Seiner Wiederkunft Ton und Kraft bekommen zu laßen, sieht fast aus, wie wenn die alten Väter entweder die Krippe ins Licht des letzten Tages hätten stellen – oder etwas von dem prachtvollen Lichte des letzten Tages um die Krippe hätten gießen wollen.

 Wolan, denken wir an das nahende Fest, feiern wir es im Lichte der Wiederkunft Christi, feiern wir sein fröhliches Nahen mit dem vierfachen Posaunenstoß, den wir in unserm Texte finden können! Denn ein vierfacher Posaunenstoß weckt alle Welt zur Bereitung, alles soll erwachen zur Feier des Geburtstages Deßen, der nahe ist und kommen wird, unsern nichtigen Leib zu verklären, daß er ähnlich werde Seinem verklärten Leibe, nach der Wirkung, damit Er kann auch alle Dinge Ihm unterthänig machen. 3, 20. 21.

Der erste Posaunenschall redet von der Freude in Christo und erweckt zu dieser Freude;
der zweite predigt Lindigkeit und Güte;
der dritte ruft zu Gebet und Danksagung;
der vierte ist ein langgezogener, heiliger, süßer Ton vom Frieden, den die Engel über Bethlehem besangen, welcher höher ist als alle Vernunft.

 Der ganze Brief Pauli an die Philipper ist, obwohl in Banden und Gefangenschaft von dem Apostel geschrieben, dennoch voll überschwänglicher Liebe des apostolischen Herzens zu der theuern, dem Herzen innig nahen Gemeinde von Philippi. Diese Gemeinde, wie die andern in Macedonien zu Thessalonich und Beröa, war schnell entstanden, klein an Zahl, rein von Art, voll brüderlicher Liebe, voll Erwartung der Wiederkunft Christi und seines Reiches. Sie war, wie sie der Apostel wünschte, und ihr, der treuen, versuchten und bewährten, seiner Nährmutter, von der alleine er Unterstützung annahm, gönnte er alles Gute, ihr gönnte er namentlich mitten unter den Anfechtungen ihrer Leiden die Freude im HErrn. Schon im ersten Vers des 3. Kapitels hatte er seinen lieben Philippern zugerufen: „Weiter, lieben Brüder, freuet euch in dem HErrn.“ Und im Anfang unsers Textes 4, 4. beginnt er aufs Neue: „Freuet euch in dem HErrn allewege; und abermal sage ich: Freuet euch.“ – Also will der Apostel die Freude haben. Das Leben des Christen ist also keine trübe, bange, thränen- und jammervolle Fahrt, und trüber Ernst,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 029. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)