Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres | |
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das Lob widerfahren.“ Man sieht aus diesen Worten den Wiederhall seines eigenen guten Gewißens. Einem anderen würde in diesem Zusammenhange vielleicht der Satz näher gelegen sein: „Alsdann wird keinem Lob widerfahren von dem HErrn“; Paulus aber gedenkt an das mögliche Lob. Er ist erhaben über die niederdrückenden Gefühle der Sündhaftigkeit, und die Einsicht in die herzliche Barmherzigkeit des HErrn, wie sie sich auch in andern Stellen der heiligen Schrift ausspricht, die große Klarheit aller Wege Gottes, die ihm offenbart sind, läßt ihn so hoffnungsreich und fröhlich reden. Und es muß ja freilich auch am Tage des HErrn etwas zu belohnen geben, sonst müßten ja viele Stellen der heiligen Schrift des neuen wie des alten Testamentes als falsche Zeugnisse erfunden werden; sonst würde ja auch das Verdienst JEsu Christi und die Arbeit Seines heiligen Geistes an den Seinen umsonst sein, sonst gäb es ja keine Kirche, keine Heiligen Gottes, keine guten Werke, keine Verheißungen für dieselben, keinen Gnadenlohn. Lauter Dinge und Voraussetzungen, die durchaus nicht sein können. Wenn wir uns also auch noch so sehr fürchten vor dem Abgrund und der Finsternis unseres eigenen Innern und vor den Rathschlägen und Bewegungen unsrer Seelen; wenn wir auch gleich mit Zittern auf den schauen, der unsre Wirksamkeit mit unsrem Innern zusammenreimt und nach der Harmonie der beiden den Lohn bestimmt; wenn wir am allerliebsten das Gericht vermeiden und uns rein in die Tiefen der Wunden JEsu verbergen möchten: so haben wir doch in unsrem Texte das bestimmte Zeugnis, daß er nicht blos die Seinen selig machen will, sondern sie auch beurteilen, classificiren und einem jeden je nach dem Zusammenhang seiner Thaten mit seinem Innern das Lob bestimmen. Und weil ich denn dieser Ueberzeugung nicht entrinnen kann, und mich ihr nicht zu entwinden vermag, so bitte und vermahne ich euch im Angesicht eures und meines HErrn, und Seines Gerichtes über euch und mich, wie St. Paulus die Korinther vermahnt: „Richtet nicht vor der Zeit; es kommt der Tag des Gerichtes, da wird gerecht gerichtet werden.“ Richtet nicht über mich, nicht über meine Vertreter, laßet das classificiren und die Schärfe der Kritik; fürchtet den Richter, der auch euch richtet und schlagt an eure eigne Brust, denn der HErr wird auch den Rath eurer Herzen offenbaren. Richtet nicht, betet lieber, betet für uns, eure Prediger und Lehrer, daß wir nicht als ungetreue Knechte am Tage der Rechenschaft erfunden werden, betet um Vergebung meiner zwanzigjährigen Untreue, meiner Trägheit, Läßigkeit und Versäumnisse und daß ich in der Kraft des HErrn JEsu, so viel ich noch hinterstellige Zeit habe, treuer, unverbrüchlich treu erfunden werde sammt denen, die mir an euch helfen und mich vertreten. Wir hingegen wollen beten, daß unsre Treue an euch gesegnet sei, unsre Arbeit gelinge, und daß wir mit einander Lehrer und Hörer würdig erfunden werden, zu stehen vor des Menschen Sohn und zu entfliehen dem schrecklichen Gerichte, das da kommt. Amen.
Am vierten Sonntage des Advents.
- 4. Freuet euch in dem HErrn allewege, und abermal sage ich: Freuet euch. 5. Eure Lindigkeit laßet kund sein allen Menschen. Der HErr ist nahe. 6. Sorget nichts; sondern in allen Dingen laßet eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden. 7. Und der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo JEsu.
AUch die heutigen Texte sind völlig adventsmäßig. Im Evangelium hören wir den persönlichen Vorläufer Christi, von dem das Zeugnis des Allerhöchsten im Evangelium des vorigen Sonntags verlesen
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/35&oldid=- (Version vom 1.8.2018)