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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am vierten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Matth. 8, 23–27.

 DAß die Menschen sich wider unsern HErrn empören, ist uns eine bekannte Sache, die wir gewohnt sind zu sehen; aber daß sich die Natur wider ihren HErrn empört und das friedliche galiläische Meer, während es die Ehre hat Ihn zu tragen, in Wallung geräth, das kann alle Welt verwundern. Ist doch sonst zu merken, daß die Natur ihren HErrn anerkennt, und daß sie Ihm freudig dient; wird doch sonst der Waßerspiegel zum festen Boden, wenn Er darauf gehen will, und nun erhebt sich ein so groß Ungestüm im Meer. Da sieht man wohl, daß die alten Kirchenväter eine Ursache hatten, wenn sie behaupteten, daß sich hinter diesem natürlichen Vorgang die Gewalt des Feindes JEsu und unserer Seligkeit versteckt hat. Es mag wohl angenommen werden, daß dem Satan um sein Reich bange ward und um die Wohnstätte der Teufel, die diese in den Bewohnern des Gergesener- und Gadarenerlandes gefunden hatten, welchem das königliche Schifflein zuruderte. Warum soll das nicht möglich sein, daß der Satan unter Gottes Zulaßung irgend eine Wirkung auf natürliche Dinge äußert, da doch eine solche Wirkung immer noch weit geringer anzuschlagen ist, als eine Wirkung auf menschliche Leiber und auf die Glieder der Erben einer ewigen Seligkeit? War doch auch der Strauß, auf welchen sich der Teufel muthwilliger Weise einließ, voraussichtlich zur Ehre Gottes und zur Schande des Feindes. Denn obwohl der König der ewigen Herrlichkeit im Waßerschifflein schlief, so hat Er doch auch im Schlafe Seine Allmacht nicht niedergelegt, Seine Hand hat ja doch die Zügel der Welt und hält sie fest und Sein allwißender Geist sieht auch, während Seine Augen schlummern, den nahenden Angriff. Darum wacht Er auch nicht einmal auf, wenn der Sturm tost und die Wellen brausen, und nur der Angstruf der Seinen kann Ihn verhindern fortzuschlummern und, während die Wellen mit dem Schifflein spielen, Sich von ihnen gefahrlos wiegen zu laßen und Selbst mit ihnen allmächtig zu spielen. – O Du, der Du niemals in Gefahr bist, auch wenn die Deinen angstvoll rufen: „HErr, hilf uns, wir verderben“! Wer Dich könnte walten laßen mit stillem Warten und hoffender Zuversicht, wer schweigend glauben und vertrauen könnte, der wäre vor Deinem Auge und Ohre ein gewaltigerer Beter, als wer den Nothruf zu Dir bringt: HErr, hilf uns, wir verderben. Wenn wir aber zu solchem Vertrauen zu gering sind, und solches Schweigen für uns zu groß ist, so laß uns eben, uns arme elende Kinder, nicht zu groß und hochmüthig sein, mit Deinen Aposteln den Angstruf und das Stoßgebet zu erheben: HErr, hilf uns, wir verderben. Schaue uns dann an mit Deinem schirmenden Auge, schilt unsern Kleinglauben, denn wir sind ja doch immer noch hoffnungsvolle Kinder und Dein Eigentum, wenn Du uns freundlich schiltst; schilt uns, und hilf uns, und laß die glänzende wunderbare Spiegelglätte unseres Lebenswaßers wieder eintreten, damit wir Deine Herrlichkeit sehen und Deine Gnade preisen. Ohne Dich auf den Wegen des Lebensmeeres fahren, HErr, das möchte ich nimmermehr. Aber mit Dir besteige ich jedes Schiff und fahre auf allen Meeren, wenn ich nur zu Dir schweigen oder zu Dir reden darf. Schenke mir das beredtere Schweigen, schenke mir das geringere Rufen und Schreien nach Deinem Willen und meinem Maße, aber eins fehle mir nie und nimmer, daß Du bei mir im Schifflein bist und ich bei Dir. Dann müßen die Wellen und Winde sich legen und die Macht der Dämonen versiegen. Amen.


Am fünften Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Matth. 13, 24–30.

 DEr Acker ist die Welt“, so sagt unwiderleglich der HErr Selbst, Vers 38. Der böse Same, die Kinder der Bosheit sind nicht vom HErrn, sondern von dem bösen Säemann, dem Teufel. Nicht

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/339&oldid=- (Version vom 1.8.2018)