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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

sind immer nur sündige Kindlein, „Kinder des Zorns von Natur“, wie die Schrift sagt. Aber das Heilige, das von Maria geboren ist, ist Gottes unbefleckter Sohn, das unschuldige Lamm! Jene Kindlein leiden einen kurzen Tod, Er aber entflieht mit Ungemach dem Tode, um 33 Jahre lang zu leben, – ja zu leiden 33 Jahre lang und endlich einen Tod zu sterben, der in seiner Tiefe und in seinen Schmerzen allen Creaturen ein Räthsel ist! Er ist der Leidende, von dem sichs handelt! Ihn bedenke! Bedaure Ihn nicht, es paßt kaum für Ihn! Er ist zu groß dazu? Er ist auch aus der Angst und dem Gerichte genommen: wer will Seines Lebens Länge ausreden? Dank Ihm für Sein Leiden hier, das dich leidensfrei und ewig fröhlich macht! Dank Ihm für Seine Flucht, für Sein unstätes Leben, das dich zum Bürger in der Stadt Gottes macht! Dank Ihm mit Gut und Blut, in Zeit und Ewigkeit!


Am Erscheinungsfeste.
Matth. 2, 1–12.

 EIn Tag großer Glorie zu Bethlehem, in der Stadt David und in dem Hause, wohin Maria nach der Geburt ihres Einzigen aus dem Stalle gewandert sein muß. Die Magier aus dem fernen Morgenlande, weise Männer ohne Zweifel, reich, wie ihre Geschenke beweisen, ehrwürdig, wie ihr Benehmen und ihre Anbetung vor dem Hochgelobten bezeugt, fromm, gläubig, des heiligen Geistes voll, eine hochansehnliche Gesellschaft, von einem Wundersterne geleitet, ziehen freuden- und wonnevoll in feiernder Andacht durchs Thor von Bethlehem bis zu dem Hause, wo ihr glänzender Führer, der Stern der Weisen, selbst feiernd und anbetend, stille steht. Man weiß vieles nicht von diesen Magiern, was hernachmals die Sage wohlwollend auszufüllen suchte. Die Zahl, das Vaterland, der Stand der Magier und anderes sind uns nicht mitgetheilt, da wir doch so leicht auf demselbigen Wege, auf dem wir das andere erfahren haben, auch dieses hätten erfahren können. Dennoch aber sieht und hört und weiß man genug, um Gott über die ganze Begebenheit zu preisen und diese würdige erste Gesandtschaft aller Heiden, welche dem Sohne Gottes und Marien die Huldigung darbringt, glücklich zu preisen und auch im eigenen Namen ihre Stellvertretung zu bestätigen und gleichsam zu unterschreiben. – „Ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis des Volkes Israel“, dieß ist der schöne Titel, welchen der greise Simeon dem Jesuskinde gibt. Und warum? Zu Bethlehem kann man heute die Wahrheit des Titels schauen. Es leuchtet nicht bloß der Stern, heller leuchtet das Kindlein, nicht der Stern bringt zur Anbetung und macht zum Opfer geneigt, wohl aber der Geist des Kindes, der die Weisen in ihrer Heimath besucht hat, und sie mit größerem Lichte in der Gegenwart des hochgelobten Kindes erfüllt. Diese Heiden wißen genug von JEsu, da ihre Wißenschaft sie zur Anbetung treibt und der Sinn ihrer Seelen wohl auch in der Wahl ihrer Gaben, in Gold, Weihrauch und Myrhen sich ausgesprochen wird. Eine Weisheit und ein Licht, welche reife Männer vor einem scheinbar armen und geringen Säugling zur Anbetung aufs Angesicht niedergebeugt, ist etwas außerordentliches, bei deßen Warnehmung man wohl daran denken kann, daß sie das Licht müßen gesehen haben, das die Heiden erleuchtet. Zugleich aber sieht man auch, wie Christus der HErr der Preis Seines Volkes Israel ist. In ganz Israel waren zu jener Zeit keine Personen, welche mit der nächsten Umgebung des Neugebornen, mit der gebenedeiten Mutter und dem Nährvater Joseph verglichen werden konnten. Man hätte diese beiden etwa zusammen mit Zacharias und Elisabeth, mit Simeon und Hanna, selbst einen Preis des Volkes Israel nennen können. Diese Personen waren es, in denen sich JEsu gegenüber der Sinn und Geist des ächten Israel regte. Wie werden aber gerade sie von der Anbetung der Heiden ergriffen worden sein. Ich will nicht sagen, daß ihre eigene Anbetung durch die der Heiden erst angefrischt zu werden und neue Kraft zu bekommen nöthig hatte. Ich trage vielmehr in mir die Ueberzeugung, daß die Erfahrungen, die sie zuvor mit dem Kinde gemacht hatten, viel zu groß gewesen sind, als daß sie nicht hätten einige Wochen oder Monden nachhalten und Licht, Kraft und Andacht

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/334&oldid=- (Version vom 1.8.2018)