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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

welches seit dem ersten Pfingsttag von Jerusalem nicht von der Erde gewichen ist, sondern sich tagtäglich und stündlich erneut hat. Und wenn es einen Augenblick scheinen konnte, als hätte die Kirche bei ihrer Textwahl gar nichts anders im Sinne gehabt, als der Heiden außerordentliches Pfingsten neben das der Juden zu stellen, so lehrt uns doch der Schluß unseres heutigen Textes, daß auch die Kirche, wenigstens so fern sie die letzten beiden Verse zum Texte gerechnet hat, der gabenarmen, späteren Zeit ihren sicheren Pfingsttrost nicht hat vorenthalten, sondern vielmehr geben wollen, und daß uns am Ende unserer Festfeiern der Pfingstsegen des Wortes und des Sakramentes recht hoch gestellt werden sollte. Wohlan, das laßt uns überlegen. Das sei unser Schluß. Wir sind getauft in früher Kindheit: damals begann unser Pfingsten. Wie aber St. Petrus nach der Ausgießung des Geistes und nach der Taufe etliche Tage in Cäsarea blieb, und die hochbegnadigten neuen Christen von Licht zu Licht, von Kraft zu Kraft führte, so wohnen seit unsrer Taufe alle Apostel unter uns durch ihre Schriften und durch die Predigt und den Unterricht ihrer Schüler, unserer Lehrer. Und der Reichtum, in den wir bei unserer Taufe eingetreten, der mehrt sich seitdem, und die Gabe des heiligen Geistes wird uns immerzu erneut. Rauscht uns also auch kein gewaltiger Wind vom Himmel an, sehen wir keine flammenden Zungen, so fällt doch ein Thau auf uns aus der Höhe und zwar alle Tage neu, und die Gnadensonne des göttlichen Wortes geht uns täglich auf, und unter Thau und Sonnenschein wächst unser inneres Leben und der Frühling unseres Geistes grünt. So ist dann Pfingsten auch im Winter dieser Welt und wir behalten Ursache, dem HErrn zu danken und den Ruhm des Geistes zu erhöhen, der auf JEsum am Jordan kam und bei Ihm blieb und ebenso zu Seiner Braut an ihrem Jordan kommt und ewig bei ihr bleibt. Amen.




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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/324&oldid=- (Version vom 1.8.2018)