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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gabe des heiligen Geistes gegeben ohne Taufe; so konnte die Taufe überflüßig scheinen. Wer weiß, wie viele andere so geschloßen haben würden, und wie viele den Schluß gebilligt hätten. Aber es gibt der menschlichen Trugschlüße gar viele, und gerade auf dem Gebiete der Offenbarung sieht gar oft der Trugschluß so sehr der Wahrheit ähnlich, daß er von allen Verstandesmenschen beschworen werden könnte. Hier aber sehen wir einen Mann, deßen geistige Fähigkeiten über das Maß anderer Menschen erhaben sind, der aber außerdem noch unter der besondern Leitung des heiligen Geistes steht, der deshalb auf eine doppelte Weise vor dem Betruge des menschlichen Verstandes gesichert ist und unter dem Lichte und Einfluße der göttlichen Gnade das Gegentheil von allem findet und ausspricht, was vielleicht andere gesagt haben würden. St. Petrus brach nach dem 47. Vers in die Worte aus: „Kann auch jemand das Waßer wehren, daß diese nicht getauft werden, welche doch den heiligen Geist empfangen haben gleich wie auch wir?“ So sprach er, und da gieng es, wie man im Sprichwort sagt: „Gesagt, gethan“. Denn er befahl, daß sie getauft würden im Namen des HErrn, und sie baten ihn dann, etliche Tage bei ihnen zu bleiben. Also weil sie die Gabe des heiligen Geistes empfangen haben, eben deshalb kann niemand das Waßer wehren und die Taufe verbieten, und wenn Gott die Heidenchristen wunderbarer Weise durch die Gabe des heiligen Geistes für sein Eigentum erklärt, so erwächst daraus der Kirche nur die Pflicht, sie unter den ordentlichen Einfluß der Gnadenmittel zu stellen und ihnen die Sakramente auszutheilen, die der HErr Seiner Kirche gegeben hat. Eben damit wird es auch offenbar, daß die Sakramente und was sie wirken, durch die außerordentlichen Gaben nicht überflüßig, nicht ersetzt werden, daß die Sakramente und die ordentlichen Gaben des heiligen Geistes dem Menschen Dienste leisten und einen Segen stiften, den sie nicht entbehren sollen, der ihnen unter allen Umständen und Verhältnissen angeboten und angenommen werden soll. Es steigt damit die ordentliche Gabe an Werth, sie erhebt sich über jede außerordentliche. Es erweist sich dadurch, daß kein Mensch, auch wenn er die höchste geistige Befähigung, die unmittelbare Einwirkung des heiligen Geistes genöße, zu groß und herrlich ist, zu reich und zu gehoben, um die ordentlichen Gaben des heiligen Geistes zu empfangen. Wer bedarf diese Seelsorge nicht, wenn sie der zungenredende Cornelius bedarf? Wer darf sie für klein ansehen, wenn der Apostel sie für groß, für so groß ansieht, daß sie auch Menschen empfangen müßen, auf welche der heilige Geist gefallen ist? Und wer darf sagen, daß das Pfingsten der außerordentlichen Gaben höher sei, als das der ordentlichen, da der heilige Petrus von den außerordentlichen zu den ordentlichen einen Fortschritt erkennt, durch welchen bei dem jüdischen Pfingsten zu Jerusalem der Fortschritt von der ordentlichen Gabe zu der außerordentlichen fast aufhört ein Fortschritt zu sein und beinahe zu einer puren Folge wird. Man könnte zwar aus einer andern Stelle unsers Textes wieder einen Schluß machen, daß die ordentliche Gnade der Sakramente nicht so groß sei als die außerordentliche. Denn Petrus taufte die neuen Christen von Cäsarea nicht selbst, sondern befahl sie zu taufen. Die sechs Begleiter, welche er hatte, vollzogen die Taufe. Man könnte aus der weiteren Geschichte der ersten christlichen Gemeinden den Satz herausziehen: die Begleiter des Apostels können taufen, aber sie können die außerordentlichen Gaben des Geistes nicht mittheilen, das aber können die Apostel; der Geist, der in Cäsarea unmittelbar vom Himmel her über die Heidenchristen fiel, kam auf andere durch Handauflegung der Apostel. Allein auch das ist nur eine scheinbare Erhöhung der außerordentlichen Gaben über die ordentlichen. Die außerordentlichen Gaben konnten verschwinden, können kommen und gehen, wie es dem HErrn gefällt, weil sie nicht nöthig sind zum ewigen Leben, weil sie zwar zur Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden große Dienste thaten und thun können, aber die Seligkeit von ihnen nicht abhängt. Dagegen die ordentlichen, die seligmachenden Gaben, das Wort und die Sakramente und ihr Segen, können nicht an die apostolischen Hände gebunden werden, dieweil die Apostel sterben, unser Heil aber mit ihnen nicht aussterben kann und soll, sondern allen Geschlechtern und Völkern möglich und leicht gemacht werden muß.

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 So hätten wir denn, meine lieben Brüder, zwar allerdings in diesem unseren Texte das Pfingsten der ersten Heiden, das Pfingsten der außerordentlichen Gaben der Heidenchristen gesehen, aber der Schluß hat uns das Pfingsten des Sakraments gezeigt,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/323&oldid=- (Version vom 1.8.2018)