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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Theile. Der erste von diesen, Vers 42 und 43, enthält den Schluß der Predigt Petri in Cäsarea. Der zweite, vom 44. bis 46. Verse, erzählt die Ausgießung des heiligen Geistes über die dortigen Heiden, Cornelius und die Seinen. Der dritte Theil, Vers 47 und 48, berichtet von ihrer Taufe. Der Fortschritt geht also von der Predigt zu den außerordentlichen Gaben des heiligen Geistes, und von diesen zu den ordentlichen Gaben. Diesen Fortschritt haben wir selbst als einen außerordentlichen anzuerkennen, selbst im Vergleich zu dem Pfingsten der Juden, welches uns die gestrige Epistel erzählte. Die Juden hören die Predigt, und nachdem diese ihre Dienste gethan hatte, werden sie getauft, nach der Taufe aber empfangen sie unter apostolischer Handauflegung die außerordentlichen Gaben des heiligen Geistes. In beiden Fällen geht die Predigt voraus, beim Pfingsten der Juden aber geht es nach der Ordnung Gottes, die Predigt gibt erst den Geist in seinen ordentlichen Gaben, d. h. in den nöthigsten, dann führt sie zu den außerordentlichen, während bei dem Pfingsten der Heiden auf diese jene folgen. Es ist gerade, wie wenn Gott recht auffallend hätte zeigen wollen, daß er der Heiden Gott sei, wie wenn er die Juden hätte lehren wollen, daß er sich um den Mangel der Beschneidung nichts kümmere und den Unbeschnittenen in Sein Reich ohne Beschneidung und gesetzliches Wesen helfe, und das sogar auf einem Wege, der den Juden, eben weil er so außerordentlich ist, sogar als eine Art von Vorzug der Heiden erscheinen konnte. Wir wollen damit nicht sagen, daß der außerordentliche Weg der beßere sei, daß im ordentlichen ein Mangel liege; der ordentliche führt selig und schön, ist wie der andere ein Weg des Geistes, kein Mensch darf ihn verachten, aber für die Heiden in Cäsarea und vor den Augen der ungelehrigen Jünger aus der Beschneidung ist der außerordentliche Weg ein stärkeres und überwindendes Zeugnis von der Seligkeit allein aus Gnaden, ohne Beschneidung und Gesetzeswerke, ein Zeugnis, welches die Kirche damals bedurfte und auch jetzt noch bedarf, ein Zeugnis von der Allgenugsamkeit der Gnade Gottes, für welches wir immer danken dürfen.

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 Der erste Theil unsres Textes macht den Schluß der apostolischen Predigt Petri, den Schluß, welcher zugleich den Höhenpunkt des Ganzen bildet. Dieser Schluß ist seinem Inhalte nach zweitheilig, indem der eine Vers, der 42. von dem Richter der Welt handelt, der darauf folgende 43. aber von demjenigen, in welchem alle Gläubigen Vergebung ihrer Sünden haben. Die beiden Theile des Inhalts sind nicht allein von einander verschieden, sondern man kann sagen, sie sind einander entgegengesetzt. Denn was kann mehr entgegengesetzt sein, als Gericht und Vergebung, – schließt doch eines das andere geradezu aus. Mit diesen Gegensätzen beschließt der heilige Petrus seine Rede und das deswegen, weil der, der alle Welt richten soll, ein und dieselbige Person mit demjenigen ist, in welchem alle Vergebung der Sünden finden. In Ihm versöhnen sich also die Gegensätze, in Ihm reichen sich Gericht und Barmherzigkeit die Hände, oder wie die Schrift sagt, küßen sich Gerechtigkeit und Friede. Gerade das aber, daß in Christo sich solche Gegensätze vereinen, ist Grund und Ursach, warum im Schluße der Rede Petri diese Gegensätze zusammengestellt werden. Ist die eine Hand JEsu Christi die hohenpriesterliche Hand, welche Segen und Vergebung austheilt, während die andere die Waage der Gerechtigkeit hält, so ist dem Menschen durch eine und dieselbe Person die Wahl gelaßen zwischen beiden, er kann sich die Hand mit der Waage und die Hand mit der Absolution wählen, je nachdem er sich selbst entschließt. Eben das ist auch die Absicht des Apostels bei der Zusammenstellung der Gegensätze, eben deshalb sind sie geeignet, zusammengefaßt zu werden, weil dem Menschen in der Wahl zugleich eine Nöthigung begegnet, sein Heil zu bedenken und eines oder das andere zu ergreifen. Es lautet majestätisch und streng, wenn St. Petrus im 10. Capitel predigt: „Wir haben mit Ihm gegeßen und getrunken nach Seiner Auferstehung von den Todten und Er hat uns befohlen, dem Volke zu predigen und zu bezeugen, daß Er der von Gott bestimmte Richter der Lebendigen und der Todten sei.“ Wenn also dieser Auferstandene Recht hat, so bleibt vor Seinem richterlichen Auge kein Lebendiger und kein Todter verborgen, Er weiß sie alle vor Seinen Stuhl zu bringen und vor Sein Gericht zu ziehen; es ergibt sich daraus, daß Er ein HErr sei über die Lebendigen und die Todten, so wie Er auch offenbar alle Eigenschaften besitzen muß, ohne die niemand ein Richter der Lebendigen und der Todten sein kann. Er muß sein allwißend, von unbestechlicher

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/319&oldid=- (Version vom 1.8.2018)