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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am zweiten Pfingsttage.

Apostelgesch. 10, 42–48.
42. Und Er hat uns geboten zu predigen dem Volk, und zu zeugen, daß Er ist verordnet von Gott ein Richter der Lebendigen und der Todten. 43. Von diesem zeugen alle Propheten, daß durch Seinen Namen alle, die an Ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen. 44. Da Petrus noch diese Worte redete, fiel der heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhöreten. 45. Und die Gläubigen aus der Beschneidung, die mit Petro gekommen waren, entsetzten sich, daß auch auf die Heiden die Gabe des heiligen Geistes ausgegoßen ward. 46. Denn sie höreten, daß sie mit Zungen redeten, und Gott hoch priesen. Da antwortete Petrus: 47. Mag auch Jemand das Waßer wehren, daß diese nicht getauft werden, die den heiligen Geist empfangen haben, gleichwie auch wir? 48. Und befahl sie zu taufen in dem Namen des HErrn.

 Das heutige Evangelium spricht nicht von Pfingsten, nicht von der großen Thatsache, deren wir in diesen Tagen gedenken, sondern von dem pfingstmäßigen Leben der Gläubigen. Es ist darinnen dem gestrigen Evangelium ähnlich. Beide Evangelien bezeugen den Sinn der Kirche: die ganze Zeit seit jenen ersten Tagen der wunderbaren Ausgießung des heiligen Geistes als eine Pfingstzeit zu erkennen und alle Gläubigen anzuleiten, daß sie ihre Lebenszeit als einen Theil der großen allgemeinen Pfingstfeier der Welt ansehen und führen. Wie nun die beiden Evangelien dieser hohen Freudentage zusammenstimmen; so stimmen auch die beiden epistolischen Lectionen zusammen. Beide, eigentlich keine epistolischen Lectionen, sondern aus der Apostelgeschichte genommen, reden von den großen Thatsachen, die wir an Pfingsten feiern, die gestrige Lection von der Ausgießung des heiligen Geistes über die Juden, die heutige von der Ausgießung des heiligen Geistes über die Heiden. Der Juden und der Heiden erstes Pfingsten werden uns in beiden Texten in herrlicher Aufeinanderfolge vor das Auge gestellt. So stimmen also die Texte der beiden Tage zusammen. – Ehe wir nun aber der Heiden erstes Pfingsten im heutigen Texte betrachten, ist noch auf eine andere Harmonie aufmerksam zu machen, die heute in unseren Ohren wiederklingen soll. Es ist überhaupt eine uralte Sitte der Christenheit, in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten den Gemeinden aus dem Worte Gottes solche Dinge vorzulesen, welche in das erste Frühlingsleben der Gemeinden Gottes auf Erden einleiten können. Besonders gern las man die Apostelgeschichte, die ja vom ersten Kapitel bis zum letzten voll Frühlingswesen, voll kräftigen, jugendlichen Lebens der Kirche ist. Schon am Anfang der nun ablaufenden Pfingstzeit, am zweiten Ostertage, lasen wir als Epistel einen Theil des zehnten Kapitels der Apostelgeschichte, den ersten Theil derselben Erzählung von der wunderbaren Ausgießung des heiligen Geistes zu Cäsarea, von welcher wir heute den zweiten Theil lesen. Mitten in der Erzählung bricht die Osterepistel ab, nachdem die Auferstehung JEsu Christi erwähnt ist; mitten in der Erzählung fängt die Pfingstepistel an. Was an Ostern begonnen ist, wird heute geschloßen. Das österliche Wort St. Petri in Cäsarea vollendet sich heute in der göttlichen Pfingstthat zu Cäsarea. Wenn nun die vierzig, ja fünfzigtägige Feier von Ostern bis heute der christlichen Gemeinde sagt, daß unser ganzes Leben seit jener Zeit in dem hohen Freudenton der Ostern und Pfingsten geführt werden soll, so zeigen uns die beiden Texte vom zweiten Oster- und vom zweiten Pfingsttag Ursache und Inhalt aller österlichen und aller Pfingstfreude, aller Freude unseres ganzen Lebens. Auch das also wäre Zusammenhang und Zusammenklang; auch diesen Zusammenhang laßt uns nicht vergeßen. Nun aber wollen wir zu unserem Texte selber schreiten.

 Dieser Text zerfällt vor unseren Augen in drei

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/318&oldid=- (Version vom 1.8.2018)