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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am Pfingsttage.

Apostelgesch. 2, 1–13.
1. Und als der Tag der Pfingsten erfüllet war, waren sie alle einmüthig bei einander. 2. Und es geschah schnell ein Brausen vom Himmel, als eines gewaltigen Windes, und erfüllete das ganze Haus, da sie saßen. 3. Und man sahe an ihnen die Zungen zertheilet, als wären sie feurig. Und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen; 4. Und wurden alle voll des heiligen Geistes, und fiengen an zu predigen mit andern Zungen, nach dem der Geist ihnen gab auszusprechen. 5. Es waren aber Juden zu Jerusalem wohnend, die waren gottesfürchtige Männer, aus allerlei Volk, das unter dem Himmel ist. 6. Da nun diese Stimme geschah, kam die Menge zusammen, und wurden verstürzt; denn es hörete ein jeglicher, daß sie mit seiner Sprache redeten. 7. Sie entsetzten sich aber alle, verwunderten sich und sprachen unter einander: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8. Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache, darinnen wir geboren sind? 9. Parther und Meder und Elamiter, und die wir wohnen in Mesopotamien und in Judäa und Cappadocien, Pontus und Asien, 10. Phrygien und Pamphylien, Egypten, und an den Enden der Libyen bei Cyrene und Ausländer von Rom. 11. Juden und Judengenoßen, Creter und Araber; wir hören sie mit unsern Zungen die großen Thaten Gottes reden. 12. Sie entsetzten sich aber alle, und wurden irre und sprachen einer zu dem andern: was will das werden? 13. Die andern aber hatten es ihren Spott, und sprachen: Sie sind voll süßes Weins.

 AEhnlich wie am Himmelfahrtstage gibt uns auch heute nicht das Evangelium, sondern die Epistel die Festgeschichte. Das Evangelium redet von einem immerwährenden Pfingsten, welches der HErr bei den Gläubigen aller Generationen und in ihren Herzen feiern will; die Epistel aber erzählt uns die hauptsächlichste Thatsache jenes berühmten ersten Pfingsttages, der wie ein Anfang und wie eine Grundstufe alles Pfingstens, das bis zur Wiederkunft Christi auf Erden gefeiert werden wird, anzusehen ist. Wir haben in dieser Stunde nichts anders zu thun, als die Epistel des Tages zu betrachten, also die Erinnerung des ersten großen Pfingstfestes zu erneuen.

 Unser Text zerfällt vor jedermanns Augen kenntlich in zwei Theile. Der erste erzählt in den vier ersten Versen des Kapitels die große Thatsache der Ausgießung des heiligen Geistes; der andere aber berichtet von dem Eindruck der Thatsache auf die in Jerusalem versammelten Juden, und zwar so, daß der fünfte und sechste Vers den ersten, man möchte sagen nur äußerlichen Eindruck gibt, die übrigen Verse aber vom siebenten bis zum dreizehnten die große, erste, innerliche Bewegung sehen läßt, welche die Ausgießung des heiligen Geistes in den Herzen der Menge hervorrief, die zum Zeugnis großen Werkes zusammengeströmt war.

 Betrachten wir nun den ersten Theil unseres Textes zuerst. Der erste Vers des Textes berichtet uns über Zeit und Umstände der Jünger am Tage der Pfingsten. Es liegt etwas feierliches und feierlich vorbereitendes in den Worten des heiligen Schriftstellers, wenn er schreibt: „Und als der Tag der Pfingsten erfüllet ward, waren sie alle einmüthig bei einander.“ Da haben wir eine Zeitangabe, eine Angabe des Ortes und einen Bericht über die Personen, welche zur gemeldeten Zeit beisammen waren. Die Zeit ist also der jüdische Pfingstfeiertag gewesen. Zehn Tage vom Tage der Himmelfahrt an gerechnet hatte also die Wartezeit der Jünger zu Jerusalem gedauert; die Zahl dieser Tage war es, die JEsus in den Worten meinte: „nicht lange nach diesen Tagen,“ und der Pfingsttag jenes Jahres war also die von Gott von allem Anfang her versehene Frist, zu welcher das große Wunder

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/310&oldid=- (Version vom 1.8.2018)