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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am Himmelfahrtstage.

Apostelgesch. 1, 1–11.
1. Die erste Rede habe ich zwar gethan, lieber Theophile, von alle dem, das JEsus anfieng, beides zu thun und zu lehren, 2. Bis an den Tag, da Er aufgenommen ward, nachdem Er den Aposteln (welche Er hatte erwählet) durch den heiligen Geist Befehl gegeben hatte, 3. Welchen Er Sich nach Seinem Leiden lebendig erzeigt hatte durch mancherlei Erweisungen, und ließ Sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang, und redete mit ihnen vom Reich Gottes. 4. Und als Er sie versammlet hatte, befahl Er ihnen, daß sie nicht von Jerusalem wichen, sondern warteten auf die Verheißung des Vaters, welche ihr habt gehöret (sprach Er) von mir. 5. Denn Johannes hat mit Waßer getauft: Ihr aber sollt mit dem heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen. 6. Die aber, so zusammen gekommen waren, fragten Ihn und sprachen: HErr, wirst Du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel? 7. Er sprach aber zu ihnen: Es gebühret euch nicht zu wißen Zeit oder Stunde, welche der Vater Seiner Macht vorbehalten hat; 8. Sondern ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, welcher auf euch kommen wird; und werdet Meine Zeugen sein zu Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde. 9. Und da Er solches gesagt, ward Er aufgehaben zusehens, und eine Wolke nahm Ihn auf vor ihren Augen weg. 10. Und als sie Ihm nachsahen gen Himmel fahrend, siehe, da standen bei ihnen zween Männer in weißen Kleidern, 11. Welche auch sagten: Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet gen Himmel? Dieser JEsus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr Ihn gesehen habt gen Himmel fahren.

 MErkwürdig ist es, meine lieben Brüder, daß sowohl am Himmelfahrtstage, als am Pfingsttage die Festevangelien nicht die Geschichte des Tages abhandeln, sondern von der Kirche ganz in der Absicht gewählt zu sein scheinen, den Sinn der großen Gottesthaten anzugeben, welche an beiden Festtagen gefeiert werden. Das Pfingstevangelium redet nicht von der Ausgießung des heiligen Geistes am ersten Pfingsttag, sondern von dem immerwährenden bleibenden Pfingsten, welches der HErr durch Seine Einwohnung und persönliche Gnadengegenwart in den Herzen Seiner Auserwählten feiert. Das heutige Evangelium erzählt gleichfalls nicht von der Auffahrt Christi, oder fertigt dieselbe wenigstens bloß mit fünf Worten ab, während der ganze übrige Text voll ist von den letzten Befehlen und Verheißungen des HErrn. Dagegen aber ist an den beiden genannten Festtagen die zweite Lection, welche man insgemein die epistolische zu nennen pflegt, aus keiner Epistel genommen, sondern aus der Apostelgeschichte, und handelt an beiden Tagen ganz von dem geschichtlichen Vorgang, den man feiert. Es zeigt sich dadurch, daß die Kirche vor allen Dingen den Sinn der hohen Feier, die göttlichen Absichten der göttlichen Thaten ihren Kindern einprägen will; die großen Ereignisse sollen mit ihren herrlichen Früchten und ja nicht ohne diese vor die Augen der Gemeinde treten, und die Größe und Herrlichkeit des Festes soll dadurch nur zunehmen. Wir können gewis mit der Textwahl der Kirche vollkommen zufrieden sein; wir dürfen treulich den Rath, der sich darinnen ausspricht, annehmen, Gottes Thaten nicht bloß äußerlich anzuschauen, sondern die herrliche Pracht ihrer Früchte und Absichten zu erkennen und uns zuzueignen. Dennoch aber erfordert es unsere Aufgabe bei diesem Texte, der euch so eben verlesen ist, mehr auf die Thatsache einzugehen, so wie sie uns in der epistolischen Lection erzählt wird, und so bekannt euch allenfalls die Geschichte bereits sein mag, so hoffe ich doch, daß eine abermalige aufmerksame Betrachtung in dieser Stunde euch förderlich sein kann. Laßt uns also unsere selige Unterhaltung über den Text getrost

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/296&oldid=- (Version vom 1.8.2018)