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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

dem Blute.“ Diese wortgetreue Uebersetzung zeigt die wahre Meinung: JEsus Christus ist gekommen und kommt noch zu Seiner Gemeinde durch Waßer und Blut oder in Waßer und Blut. Er kommt nicht mehr sichtbar, wie in den Tagen Seines Fleisches, auch noch nicht so sichtbar wie am Ende der Tage, sondern Er kommt von Seiner Auffahrt an bis zu Seiner Wiederkunft durch Waßer und Blut und in Waßer und Blut. Seine Taufe und Sein Sakrament des Abendmahles zeigen uns die Ihm beliebte Weise an, Seine Kirche heimzusuchen und sich ihr zu offenbaren. Er kommt auf sakramentliche Weise und die Sakramente sind Sein Zeugnis auf Erden an die Gemeinde und in ihr. Nicht aber allein die Sakramente sind Zeugnisse, sondern auch der Geist ist Zeugnis, wie das unweigerlich aus beiden Stellen unseres Textes hervorgeht. Es fragt sich nur, wie wir diesen Ausdruck zu verstehen haben: „der Geist ist Zeugnis,“ zumal in Verbindung mit dem parallelen Satze: „Der Geist ists, der da zeuget, daß der Geist ist die Wahrheit.“ Denken wir uns, meine geliebten Brüder, in den ersten Tag der Kirche JEsu, den Pfingsttag hinein, so finden wir an ihm die Zeugnisse des Waßers und des Blutes: die ersten Taufen auf den Namen des Dreieinigen und das erste Abendmahl der Gemeinde fallen auf Einen Tag, nämlich eben auf den der Pfingsten. An demselbigen Tage aber sehen wir auch das Zeugnis des Geistes und erkennen, wie der Geist bezeuget, daß der Geist ist die Wahrheit. Erinnert euch, meine lieben Brüder, an die Ausgießung des heiligen Geistes und Seiner Wundergaben, wie sie zuerst in Jerusalem über die Juden, dann aber unter Petri Predigt zu Cäsarea über die Heiden kam. Da gab der Geist durch Seine wunderbaren Regungen allen ein Zeugnis, daß die Predigt des Evangeliums oder die Wahrheit vom Geist und selbst Geist ist, und die Wunder, die mitfolgten, denen nämlich, die da glaubten, bewiesen vor aller Welt, insonderheit aber vor der sich mehrenden Kirche, und beweisen noch bis auf unsere heutige Stunde, daß unsere Predigt an Euch ein Wort des göttlichen Geistes ist. Da haben wir also neben dem Zeugnis der Sakramente das Zeugnis der Wunder und Gaben des heiligen Geistes und damit das dreifache Zeugnis, von welchem unser Text spricht. Dies dreifache Zeugnis ist auch gegenwärtig noch in der Kirche. Die Sakramente gehen im Schwang, und wenn wir auch nicht sagen können, daß die Wundergaben in sehr reichem Maße in der Kirche blühen, so ist doch die Wahrheit vorhanden im göttlichen Worte und der Geist der Wahrheit, und wenn das Wort erschallt und Seine gütigen Kräfte an die Seele dringen, so fehlt es auch nicht an einem inneren göttlichen Zeugnis und an einer Ueberzeugung derer, die da hören, daß der Geist Wahrheit sei. Es wirkt das göttliche Wort eine nicht menschliche, sondern übernatürliche Ueberzeugung, welche die Gemüther der Heiligen beruhigt und mit der Freude des ewigen Lebens erfüllt. Man kann daher immerhin mit Wahrheit sagen, daß die drei Zeugnisse Gottes noch jetzt auf Erden seien, nur daß wir, wenigstens bei den Sakramenten, nicht gewohnt sind, dieselben als Zeugnisse, und zwar als Zeugnisse Gottes aufzufaßen. Zwar unsere Bekenntnisschriften nennen die Sakramente Zeugnisse des gütigen Willens Gottes und ihre Rede ist dieses Falls ganz johanneisch und unserem Texte getreu; man kann aber nicht sagen, daß wir uns den Gedanken geläufig gemacht hätten. Und doch ist er es werth, recht fleißig im Herzen der Gläubigen bewegt und in ihrem Gedächtnisse erneuert zu werden. Sind die Sakramente Zeugnisse Gottes, Zeugnisse JEsu und von JEsu, Zeugnisse des in JEsu gnädigen, göttlichen Willens, so liegt an der gläubigen Wiederholung dieses Gedankens für die Erbauung unserer Seelen sehr viel, unser Glaube wird dadurch erweckt und an dem Zeugnis Gottes von Seinem Sohne rankt sich, wie die Rebe am Baum, unsere innere Zuversicht empor. Auch kann ein göttliches Zeugnis, wie das der Sakramente ist, ohne fleißiges Bedenken und Erwägen gar nicht die Bedeutung gewinnen, welche ihm, wie wir nun gleich sehen werden, in unserm Texte zugeschrieben wird.

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 Es wird nämlich in dem neunten Vers das dreifache göttliche Zeugnis neben das menschliche Zeugnis gestellt und gesagt: „So wir der Menschen Zeugnis annehmen, so ist Gottes Zeugnis größer, denn dies ist das Zeugnis Gottes, welches Er gezeugt hat von Seinem Sohne.“ Was heißt das anders, als daß das Zeugnis der Sakramente und des Geistes in unserem Herzen in verstärktem Maße diejenige Wirkung hervorbringen soll, welche ein menschliches

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/262&oldid=- (Version vom 1.8.2018)