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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Juden bereits bekannt gemacht, er war ein Proselyte. Vielleicht waren auch diejenigen, welche er zu sich eingeladen hat, um die Botschaft des heiligen Apostels zu empfangen, derselben Richtung zugethan, so daß man auch eine allgemeine Bekanntschaft mit demjenigen, was seit der Taufe Johannis im Lande vorgekommen war, bei ihnen voraussetzen konnte. Eine solche Bekanntschaft im Allgemeinen schreibt ihnen der heilige Petrus im 36. Verse ganz offenbar zu. Ja nicht bloß im 36. Verse, sondern auch bis zum 39. Er sagt: „Ihr wißet wohl von der Predigt, die Gott zu den Kindern Israel gesandt hat und verkündigen laßen den Frieden durch JEsum Christum, welcher ist ein Herr über alles.“ Es geht daraus hervor, daß, wie es ein andermal heißt, die Geschichte JEsu nicht im Winkel geschehen ist, sondern zur Kenntnis und zum Gespräche aller kam, so daß man sie schon zu Petri Zeit kaum zu lehren brauchte, so bekannt war sie überall. Das liegt ganz offenbar in den Worten: „Ihr wißet die Predigt oder die Rede, welche Gott den Kindern Israel sandte, da er ihnen durch JEsum den Frieden verkündigen ließ.“ Ob aber gleich Petrus Cornelio und den Seinen eine allgemeine Bekanntschaft mit der Geschichte Christi zutraute, so wiederholte er sie dennoch, ohne Zweifel zur Berichtigung und Läuterung deßen, was sie wußten, sowie zur Bestätigung des Richtigen, was sie vernommen hatten. Bei dieser Erzählung fängt er wie Marcus und Johannes in ihren Evangelien mit der Taufe Johannis die Geschichte des HErrn an, und unterscheidet von dem Bekannten, welches sich seit jener Zeit zugetragen hat, das Unbekannte, welches sie nicht wißen können: dieses Unbekannte bildet den zweiten Theil der Erzählung und ist nichts anders, als die Geschichte der Auferstehung unsers HErrn und der vierzig Tage nach der Auferstehung. Durch das Unbekannte bekommt das Bekanntere nicht bloß die richtige Fortsetzung, sondern auch das Ziel, da es keinem Zweifel unterliegen kann, daß die Auferstehung unsers HErrn das Ziel Seines ganzen Lebens und des neuen Testamentes Siegel genannt werden darf. Das Bekannte setzt der Apostel in die Taufe Johannis, in deren Anwendung auf JEsum von Nazareth, in die großen Thaten unsers HErrn seit Seiner Taufe und in Seine Kreuzigung. Von der Taufe Johannis gibt er Zeugnis, daß sie mit allem, was unmittelbar auf sie folgte, eine bekannte Sache in ganz Judäa geworden sei. Von der Taufe JEsu durch Johannes sagt der Apostel, sie sei eine Salbung gewesen mit dem heiligen Geiste und der Kraft Gottes. Von den Amtsjahren JEsu berichtet er, der HErr habe das Land durchwandert und Gott sei so mit Ihm gewesen, daß Er alle diejenigen habe heilen können, welche vom Teufel überwunden gewesen seien, es seien auch diese Thaten keine Mährchen, sondern die Apostel seien selbst Augenzeugen von allem gewesen, was der HErr im jüdischen Land und in Jerusalem gethan. Durch die Erwähnung der Taufe Johannis, die allgemein bekannt war, durch die Auffaßung der Taufe JEsu als Salbung, durch die Hervorhebung der großen Thaten JEsu mußte die Erwartung der Zuhörer von Christo dem HErrn ebensosehr gesteigert werden, als sie nun durch die Erwähnung des schmählichen Endes Christi am Kreuz zu Boden sank. Für ein solches Leben schien ein solches Ende nicht zu paßen; es schien, als wolle sich der göttliche Strom des Lebens JEsu in die Erde verlieren. Hier aber schließt sich eben dasjenige an, was kein Cornelius wißen konnte: die Geschichte der Auferstehung unsers HErrn, Seiner Erscheinungen und Seines Zusammenlebens mit den Aposteln während der vierzig Tage. Bemerkenswerth ist es, daß St. Petrus die Auferstehung von den Erscheinungen des Auferstandenen so sehr trennt, die Erscheinungen keineswegs als nothwendige Folgen der Auferstehung faßt, sondern als besondere Gottesgaben; denn es heißt ja: „Gott hat Ihn auferweckt am dritten Tage und Ihm gegeben zu erscheinen, oder offenbar zu werden.“ Er hätte also wohl auferstehen können und verborgen bleiben, wenn nicht der Glaube an die Auferstehung durch die Erscheinungen bedingt gewesen wäre. Die Erscheinungen Christi hatten eine bedingte Nothwendigkeit, des Glaubens wegen. Sie mußten aber keine allgemein sichtbaren sein, um ihren Zweck zu erreichen. Darum erschien auch Christus nicht jedermann, sondern Er erzeigte sich denen, die schon ohne und vor der Auferstehung an Ihn geglaubt hatten, diesen aber allerdings so nahe, daß Er auch mit ihnen aß und trank. So waren sie dann Zeugen im Lande und auf Erden, die unverwerflich genannt werden mußten, während doch auf diese Weise die Zeit der Gnaden des neuen Testamentes von der letzten Wiederkunft und allgemeinen

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/253&oldid=- (Version vom 1.8.2018)