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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

für die Gefallenen eine scharfe Bußzucht ein: man setzte vier Stationen der Buße fest, welche Jahre lang ausgedehnt wurden, so daß ein Gefallener sogar zwanzig und mehr Jahre brauchen konnte, um die Stufen der Bußzucht durchzumachen. Auch vor dieser unapostolischen und unevangelischen Strenge behüte uns der HErr, selbst in dieser elenden jammervollen Zeit, in welcher der böse Sauerteig den guten fast ganz und gar durchdrungen zu haben scheint. Es muß eine Hoffnung sein für jeden Sünder, und wenn der korinthische Blutschänder, von welchem in unserm Textkapitel die Rede ist, von der Gemeinde und dem Apostel wieder aufgenommen wurde, so bald er Buße that, so ist es offenbar, daß auch der, welcher nach der Taufe in schwere Sünden fiel, von Gott und Seiner Gemeinde um Christi willen wieder angenommen werden kann. Aber wenn wir auch aller novatianischen, donatistischen und altkatholischen Uebertreibungen der Zucht widerstehen müßen, so dürfen wir ihr doch nicht überhaupt widerstehen, weil ja der heilige Apostel Paulus, als er dies schrieb, Zucht, Abendmahlszucht, und solche Abendmahlsgemeinden verlangt, wie sie das Vorbild des alttestamentlichen Süßteiges vorbedeutet hat. Nachdem das Verderben so groß geworden ist, wie wir es täglich unter uns erkennen müßen, hat die Wiederherstellung auch nur eines geringen Maßes von Zucht so große Schwierigkeiten, daß denjenigen, die es mit unbesonnenen Hoffnungen und ohne Kenntnis des großen Verderbens versucht haben, oft schnell aller Muth zerrinnt, und sie lieber alles gehen laßen, wie es kann und mag, als daß sie mit Beständigkeit, langsam, aber unwidertreiblich, die Ordnung Christi in den Gemeinden wieder herzustellen suchten. Aber mag es nun leicht oder schwer gehen, gelingen oder nicht gelingen, so bleibt doch das Wort des Apostels stehen und man muß dennoch immer wieder predigen und sagen, daß eine zuchtlose Horde keine Gemeinde, kein neuer Teig, kein Süßteig, sondern ein verderbter durchsäuerter Teig sei, der zum Osterlammseßen des neuen Bundes nicht paßt, und beim Abendmahl Christi des HErrn selbsteigene hohe Misbilligung findet.

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 Diese Auslegung, meine lieben Brüder, bringt allerdings wenig Osterfreude mit sich. Sie ist von tiefer, schmerzlicher Trauer begleitet. Wenn man diese Osterepistel liest, da könnte es einem werden, wie den heimgekehrten Israeliten, da sie das Gesetzbuch Mosis fanden. Die Freude am lautern Wort des HErrn könnte Reue und Bußethränen bringen und das Osterhallelujah in lauter Sündenbekenntnis und flehendes Kyrie-eleison verwandeln. Es wäre auch gar nichts beßeres zu wünschen, als eine solche Wirkung, welche, so wie sie eintreten würde, die Grundlage zu der größten Freude bilden könnte. Wie kann eine Osterfreude beim Sauerteig, beim alten Teig, beim verderbten Teige stattfinden? Wenn gleich die österliche Zeit vorhanden ist, so bleibt doch nicht das Hallelujah, sondern die Buße für alle diejenigen die nöthigste Sache, die sich, wie die Gemeinde zu Korinth, den Tadel des Apostels gefallen laßen müßen, der da spricht: „Euer Ruhm ist nicht fein, wißet ihr nicht, daß ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert“? Das aber müßen sich die Gemeinden unseres Vaterlandes weit und breit gesagt sein laßen, und ich wüßte in der That keine einzige Ausnahme unter allen Gemeinden unserer Heimath zu machen. Das Passahlamm wird zwar allenthalben gegeßen und Ostern überall gefeiert, aber nicht in süßen Broten, sondern im alten Sauerteig, und alles, was bisher geschehen ist, um nicht novatianischen, donatistischen und altkatholischen Uebertreibungen, aber den Forderungen Christi und Seiner Apostel genug zu thun, ist aller Orten so klein und gering, daß man es kaum anschlagen und etwas nennen kann. Wir und unsere Väter, dazu auch die Hirten und Lehrer der letzten und der früheren Zeit haben durch völlige Vernachläßigung der apostolischen Worte so viel gesündigt und so großen Zorn Gottes aufgehäuft, daß in der That nicht mehr abzusehen ist, wie die Strafe aufgehalten und geholfen werden kann. Wenn Bekenntnistreue und Zucht die beiden Beine sind, welche den Leib der Kirche tragen, so kann man sich kaum der Bemerkung erwehren, daß wenigstens das eine Bein, nämlich die Zucht, lahm, todt und ohne Tragkraft ist. So muß dann der ganze Körper mit all seinem Ballast und Uebergewicht sich dahinschnellen auf dem selbst wunden Einen Beine, hinken und hüpfen, bis er in die Grube fällt, die ihm der Feind auf seinem Wege bereits gegraben hat. Es ist mir sehr leid, wenn der zweite Theil dieses Vortrags dem ersten so wenig entspricht, betrübt machen und Freude stören kann, aber die Schuld liegt nicht

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/250&oldid=- (Version vom 1.8.2018)