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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Osterlamm, für uns geschlachtet“. Das Opfer Christi ist ein für alle Male geschehen und kein zweites folgt. Er hat mit Einem Opfer alle vollendet, die geheiligt werden. Wir haben also in einem unendlich höheren und tieferen Sinn, als die Juden, „ein Osterlamm, für uns geschlachtet“. Und nun unser Osterlamm geschlachtet ist, „feiert man Ostern“ durch den Genuß des Osterlamms, Seines Leibes und Blutes im heiligen Abendmahl, bis der HErr am Ende wiederkommt. Die ganze Zeit von dem Opfer auf Golgatha bis zur Wiederkunft des HErrn ist für die Christen nicht bloß bildlich und gleichnisweise, sondern im vollkommensten, heiligsten Ernste Eine wahrhaftige, ununterbrochene Osterfeier, eine Osterlamms- und Abendmahlszeit. Die neutestamentlichen Gemeinden leben von der Vorbereitung zum Genuß des Osterlamms, vom Genuß zur Vorbereitung: zwischen Bereitung und Genuß vergeht die Zeit, bis Er kommt. Immer aufs Neue wollen sie ihres ewigen Heils in dem geschlachteten Gotteslamm theilhaftig und versichert, dadurch voll Fried und Freud im heiligen Geiste, voll Licht und Kraft zur Heiligung werden. Keine höhere Ansicht ihres Erdenlebens, als diese, – und darum auch keine vollkommnere Blüthe des Erdenlebens, keine Zeit, welche den Namen „Hochzeit“ mehr verdient, als die, da man zum Genuß des Osterlamms, zum heiligen Abendmahl kommt. Abendmahl halten – ja, das ist das höchste, herrlichste Werk einer Christengemeinde – oder nein, nicht ein Werk, sondern da legt sie alle Werke nieder, da lebt sie ganz und völlig ihres Glaubens.

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 Und wie wir nun zum alttestamentlichen Osterlamm in Christo, zum alttestamentlichen Osterlammseßen im heiligen Abendmahle das neutestamentliche Gegenbild gefunden haben; so haben der Sauerteig, welcher auszufegen, und der Süßteig, die süßen Brote, in welchen die Juden Osterlamm halten mußten, gleichfalls ihre neutestamentlichen Gegenbilder. Der Sauerteig als Bild kommt im Neuen Testamente in mancherlei Bedeutung vor. Wenn z. B. der HErr Seine Jünger vor dem Sauerteig der Pharisäer und Schriftgelehrten warnt; so versteht er darunter ausgesprochener Maßen die falsche Lehre der Pharisäer und Schriftgelehrten. Und wenn in unsrer Epistel V. 8 von einem Sauerteig der Schalkheit und Bosheit die Rede ist, so deutet das Bild auf eine innere Verderbnis der Gesinnung hin, welche das gesammte innere Leben mit Tod und Fäulnis bedroht. Es kommt aber auch das Bild V. 6 und 7 unverkennbar noch in einem andern, allerdings innerlich verwandten, dennoch aber sehr überraschenden Sinn vor. Da ist von einem Sauerteig der Gemeinden die Rede. Ein neuer, ungesäuerter Teig soll die Gemeinde von Corinth sein, und darum soll sie den alten Sauerteig ausfegen. Sie soll nicht bloß im Süßteig der Lauterkeit und Wahrheit Ostern halten, sondern sie soll selbst ein Süßteig sein – und drum auch ausfegen den Sauerteig aus ihrer Mitte, von dem auch ein Weniges den ganzen Teig bedroht. Was ist da Süßteig? und was ist Sauerteig? Der Süßteig ist die heilige Gemeinde, der Sauerteig aber im Zusammenhang offenbar nichts anderes, als die Aergernisse, die bösen Beispiele öffentlicher Sünden, unleugbarer und doch unbereuter Missethaten, welche nicht minder durchsäuernd und verderbend auf die Gemeinde wirken, als falsche Lehren. Man kann V. 6 und 7 unter dem Sauerteige nach dem Zusammenhang nichts anderes verstehen und darf es nicht: das kann man kühnlich behaupten. Diese bösen Beispiele sollen nicht geduldet werden von denen, welche das neutestamentliche Ostern halten, an den Tischen des Lammes Gottes sitzen, zu Seinem Abendmahle gehen. So wie für den Juden das Ausfegen des Sauerteigs mit dem alttestamentlichen Osterlamm zusammenhängt; so ist also die Abendmahlszucht oder beßer die Zucht um des rechten Abendmahlsgenußes willen für den Christen durch St. Pauli Wort in den engsten Zusammenhang mit der Abendmahlsfeier selbst gesetzt. Das apostolische Wort: „Feget den alten Sauerteig aus“ ist nichts als eine gewaltige Mahnung des entfernten Apostels an die schlummernde, Feier und Ernst des heiligen Mahles vergeßende Gemeinde von Corinth. Der hat auch im Herzen Sauerteig, „den Sauerteig der Bosheit und Schalkheit“, welcher offenbare Sünden, unbereute Missethaten und den Genuß des neutestamentlichen Osterlamms zusammenreimen und vertragen kann: denn was ist’s anders als Bosheit und eine – recht thörichte und offenbare – Schalkheit, mit groben Sünden selbst zum Versöhnungs- und Vergebungsmahle des

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/241&oldid=- (Version vom 1.8.2018)