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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Menschenzügel, wohin Er will. Da fällt nun Licht von dem ewigen Throne auf das Grab JEsu und auf Sein Kreuz, und der Charfreitagabend glüht bereits im Lichte der ewigen Herrlichkeit. – Wie wir aber neben dem seligen Glücke der erlösten Seele JEsu im Paradiese, die Ruhe Seines Leibes auf Erden schauen durften, so zeigt uns nun im Fortschritt der Prophet neben dem himmlischen Regimente JEsu auch das kommende selige Gelingen des göttlichen Werkes auf Erden. „Darum, daß Seine Seele gearbeitet hat, darum, daß Er sich bemüht hat mit schweren Todesleiden, wird Er nun Seine Lust sehen, nemlich an Seinen Feinden, den Menschenkindern, und die Fülle haben, nemlich Anbeter die Fülle. Durch Sein Erkenntnis wird Er, der Knecht Gottes, der Gerechte, viele gerecht machen, denn Er trägt ihre Sünden. Große Menge soll Er zur Beute haben und die Starken zum Raube, darum daß Er Sein Leben in den Tod gegeben hat, und den Uebelthätern gleich gerechnet ist, und Er vieler Sünden getragen hat, und für die Uebelthäter gebetet.“ Sieh da, den Himmel regiert Der, der am Kreuz erblaßte; und auf Erden kommt die große Menge, bewegen sich zu Ihm die Millionen, und es geschieht was geschrieben steht aus Seinem eigenen Munde: „Wenn Ich erhöhet werde von der Erde, will Ich sie alle zu Mir ziehen.“ Und unter den Millionen, die zu Ihm gehen, sind Starke, die sich vor Ihm in den Staub legen und schwach werden vor Seiner Majestät, und von Seiner Gnade leben und durch die Erkenntnis Seiner Gerechtigkeit selbst gerecht werden vor Gott, und Frieden für ihre Seelen finden. Da fällt also nicht bloß das Licht Seiner ewigen Majestät in den Charfreitag Abend herein, sondern man hört die Schritte der Millionen, die zu Seinem stillen Grabe wallen und die Stimmen ihrer Lieder, wie großer Waßer Rauschen von ferne herzukommt, und es läßt sich an, wie wenn nun bereits die erlöste Menschheit kommen wollte, Land für Land, Geschlecht für Geschlecht, und eine Zeit nach der andern, um Ihm die Ehre zu geben und zu bekennen, daß der Ort Golgatha, wo Sein Kreuz stand, und das Grab, wo Sein Leib eine kleine Zeit geruht hat, der Mittelpunkt der Welt und ihrer Geschichte geworden ist. –

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 Lieben Brüder und Schwestern! In der Epistel des Palmsonntags stiegen wir an den Worten und der Lehre Pauli hinab in die Tiefen der Leiden und Erniedrigungen Christi, und hinauf bis zum Throne Seiner Erhöhung. Was wir bei Paulo in der Lehre gelernt haben, das läßt uns Jesaias schauen. Hier im Gesichte, dort im lehrenden Vortrage wurden wir ein und dieselbe Straße geführt, denselben Kreuzweg und denselben Himmelsweg. Trösteten wir uns beim bangen Eingang in die Leidenswoche, auf dem Abhang des Oelbergs mit dem Blick auf die Stunde, die uns nun gekommen ist, die Ruhe bringt nach schwerem Kreuz; so können wir uns jetzt, nachdem die Stunde des Vollbringens herumgegangen ist, der Siegesruf erschallt: „Es ist vollbracht,“ um so mehr der Ruhe hingeben, welche von nun an auf immer und ewig nicht bloß für JEsum Christum vorhanden ist, sondern auch für uns. Seine Seele hat gearbeitet; nun zieht sie dahin zu den Freuden des Paradieses, und ihr nach alle die Seelen der Schächer und Sünder, die in eignen Sünden und Leiden keine Ruhe finden konnten, bis sie ihnen gefunden ward bei Ihm. O welche Ruhe der Seelen, die Ihn gefunden haben an Seinem Charfreitagabend! Wie sind wir nun ausgespannt von Joch und Strick und Riemen; nun seufzen wir nicht mehr: „Wie gut wird sich’s doch nach der Arbeit ruhn, wie wohl wird’s thun“; sondern es ist bereits Ruhe, und schon ist der Sabbath gekommen, von dem man sagte, daß er noch vorhanden sei. Zündet die Sabbathlampen an, sammelt euch, schlaget Hymnen und Psalter auf, und singet Lieder vom Sieg und Frieden in den Hütten der Gerechten. Singt auch Lieder von dem Frieden und der Ruhe der Leiber in den Gräbern. Denn so gewis der Leib JEsu in Josephs Grab in Hoffnung ruhte, so gewis wird nun auch bald unser armes müdes Gebein, sicher einer ewigen Hoffnung, im Friedhof der Erde ruhen, die uns der Leichnam JEsu eingeweiht hat zu gleicher Ruhe und daß wir, nachdem wir zur Erde gekommen, wie Er selber, auch wieder aus ihr kommen sollen und die Beute der Erde, unsre Leiber, zur Theilnahme an einem ewigen Leben tragen. Nun singt man bei den Sterbelagern der Christen, wie bei den Schlafbetten der Kinder: „Beschirmt von Deinem Segen, geh ich der Ruh entgegen: Dein Name sei gepreist.“[WS 1] Nun legt man den Leichnam

Anmerkungen (Wikisource)

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/238&oldid=- (Version vom 1.8.2018)