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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Christo in den Tagen Seines Fleisches durchmachten, sondern auch alle die hohen Offenbarungen ersetzt werden mußten, welche diesen seit den Tagen der Auferstehung Christi zu Theil geworden waren. Mag das übrigens gewesen sein wie es will, offenbar hat sich der Unterricht, welchen St. Paulus unmittelbar von dem HErrn empfieng, auf das heilige Abendmahl erstreckt, auf die Einsetzung desselben, sowie auf die richtige und segensreiche Feier. Darum sagt ja der Apostel zum Eingang unsres Textes: „Ich habe es von dem HErrn empfangen, was ich euch gegeben habe.“ Also war die Einsetzung des heiligen Abendmahles, wie das freilich ohnehin schon jeder von selbst schließen kann, dem HErrn JEsu Christo nicht bloß für die Nacht, da Er verrathen ward, eine hochwichtige Sache, sondern Er denkt vom heiligen Sakramente auch im Zustand Seiner himmlischen Verklärung noch ebenso. Der verklärte Christus unterrichtet Seinen Jünger Paulus zur Zeit, da Ihm bereits der Thron Seines himmlischen Vaters überliefert ist, von dem heiligen Mahle. Daraus sieht man klar, wie hoch wir dies Mahl zu schätzen haben: denn wie sollten wir eine Handlung und ein Geheimnis nicht schätzen, welches der HErr in den Tagen Seines Fleisches eingesetzt und während der Zeit Seiner himmlischen Verklärung, nach Seinem Eingang in’s ewige Reich, zu einem Gegenstande Seiner unmittelbaren Belehrung an den Apostel Paulus gemacht hat! Was groß ist vor JEsu Augen, im Stande Seiner Erniedrigung und Seiner Erhöhung, muß für uns arme Pilgrime auf dem Wege zum ewigen Heile nur desto größer sein. –

 Aus den Eingangsworten des heiligen Paulus zu unsrer Lektion sehen wir auch den Zweck und die Absicht, welche der HErr bei Seiner himmlischen Mittheilung an den Jünger Paulus gehabt hat. Deshalb unterrichtet der verklärte Christus den Apostel über das heilige Abendmahl und deßen würdigen Genuß, damit St. Paulus die Corinther und alle übrigen Gemeinden wieder unterrichten und sie zur seligen Feier und zum würdigen Genuße anleiten möchte. Das war die Absicht JEsu, welche auch durch den Gehorsam Pauli erreicht wurde. „Ich habe es von dem HErrn empfangen, was ich euch überliefert habe“, spricht der Apostel. Also hat er es Ihnen überliefert, also war es ihm nicht genug, die Corinther und die übrigen Gemeinden im Allgemeinen mit dem Evangelium vertraut zu machen, sondern er sammelte sie auch zum Altare, lehrte sie das heilige Abendmahl halten und vereinigte sie dadurch zu einer Gemeinde Christi. Wenn also auch wir uns zum Abendmahle des HErrn versammeln, als eine Gemeinde zu einem Altare gehen, so wißen wir, daß wir damit die Absicht des verklärten Christus erfüllen und dem Vorgang des heiligen Apostels Paulus und aller Apostel folgen, was uns um so mehr erfreuen kann, je mehr unser Gehorsam von der Herrlichkeit der himmlischen Wohlthat übertroffen wird, welche wir empfangen.

 Ueber den Inhalt des ersten Theiles, über die Geschichte des heiligen Mahles, wie sie Paulus vorträgt, will ich euch, meine lieben Brüder, bei dieser Gelegenheit nur zwei kurze Bemerkungen machen. Es gibt nemlich erstens heutzutage Menschen, die einen solchen Ekel an kirchlichen Streitigkeiten, insonderheit an denen über das heilige Abendmahl, haben, daß sie das Glück der ersten Zeiten darein setzen, keine derartigen Mühseligkeiten gehabt und insonderheit das heilige Abendmahl ohne alles Grübeln über die dargebotenen Güter in aller Einfalt hingenommen zu haben. Allein für’s Erste ist es ja nicht einmal wahr, wenn behauptet wird, es habe in der ersten Zeit solche Streitigkeiten nicht gegeben. Wer kann das bei einiger Kenntnis des menschlichen Herzens für wahrscheinlich halten, und wer für wahr, der mit einiger Aufmerksamkeit die apostolischen Briefe gelesen hat? Auch wird, wer das heilige Abendmahl auch nur nach der Erzählung des heiligen Paulus in unserm Texte kennen gelernt hat, doch sicher das nicht für Einfalt und einfältige Faßung der apostolischen Worte ausgeben, wenn jemand ohne alle bestimmte Meinung und ohne sich nur auf den Inhalt der Worte zu besinnen, über die Hauptsachen der Einsetzung, das ist über die Worte hingeht, welche von der Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Sakramente reden! Der Einfältige kann sich aufs höchste verwundern, daß von einer Gegenwart des Leibes und Blutes die Rede ist, aber er kann unmöglich in der Erzählung des Apostels etwas anderes als den ernstlichst ausgesprochenen Glauben finden, daß Leib und Blut Christi da sei. Die Einfalt glaubt, sie zweifelt nicht; sie rüttelt nicht an dem Worte, sie

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/231&oldid=- (Version vom 1.8.2018)