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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Paulus schreibt, und am Ende euch selber überzeugen, wie solche Hoffnung auf die Geduld der Heiligen eine stärkende stählende Wirkung üben muß.

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 Um euch nun, meine lieben Brüder, zuerst die heilige Geduld zu zeigen, von welcher der Apostel redet, müßt ihr mir erlauben, in das vorausgehende Kapitel des Römerbriefes zurückzugreifen. Ich bitte euch um Erlaubnis und ich wollte, ich bedürfte das nicht. Meine Bitte beruht auf einer Art von Höflichkeit, die mich antreibt, euch und eure Schwachheit zu schonen; denn ihr kommt in der Regel ohne Kenntnis des Textes, über den gepredigt wird, zur Kirche, und für eure Trägheit in geistlichen Dingen scheint es eine übermäßige Zumuthung zu sein, wenn man nicht blos eine Bekanntschaft mit den Textesworten, sondern auch mit dem voraussetzt, was vor und nach dem Texte steht. Es sollte wol ein Prediger von einer Gemeine, der er zwanzig Jahre gepredigt hat, so viel erwarten dürfen, daß sie mit dem Text und seinem Zusammenhang vor jeder Predigt, wenn auch nicht bekannt sei, doch aber sich gerne bekannt mache. Fleiß der Vorbereitung sollte man fordern können. Kann ich nun das nicht fordern, greif ich beim Zurückgehen in die dem Text vorausgehenden Kapitel in euch unbekannte Regionen, so verzeiht und erlaubt mir zu thun, was ich nicht laßen kann, wenn ich zu meinem Ziele gelangen soll.

 Der heilige Apostel Paulus hat seinen Brief an die Römer zu Corinth vor seiner letzten Reise nach Jerusalem geschrieben. Er hatte dazumal im Sinn in baldem über Rom nach Spanien zu reisen, wie er das im Briefe an die Römer selbst sagt. Nun wurde er zwar in Jerusalem gefangen genommen und Jahre lang in Cäsarea von den Landpflegern festgehalten; aber am Ende kam er, wenn auch durch Wege und Schicksale, die er nicht gewollt hatte, nach Rom. Schon zuvor, da er von Corinth aus seinen Brief an die Römer schrieb, sagte er von der Gemeinde zu Rom, daß man von ihrem Glauben in der ganzen Welt rede; also gab es ums Jahr 59, in welchem er seinen Brief schrieb, schon eine weltberühmte römische Christengemeinde. Als Paulus späterhin wirklich nach Rom kam, giengen ihm die Brüder entgegen, und das eine weite Strecke Landes, und es zeigte sich also wieder, daß eine rege, christliche Gemeinschaft, die St. Pauli apostolisches Ansehen erkannte, in der Hauptstadt der Welt war. Wer diese Gemeinde gestiftet hat, das ist in ein völliges Dunkel eingehüllt, und es hat nie jemand darüber eine sichere Kunde gegeben. Aber von Juden gestiftet oder doch von solchen, die, wie wir so häufig im Morgenlande finden, neben dem Evangelium eine Art Judentum beibehalten wollten, – von Juden oder judaisirenden Christen gestiftet kann sie nicht sein. Der Geist des freien Abendlandes, der die Bischöfe von Rom und ihre Gemeinde in den ersten Jahrhunderten durchdrungen und sie zu Gegnern alles jüdischen Wesens gemacht hat, läßt sich schon aus dem, was die Apostelgeschichte und der Brief an die Römer über die Gemeinde zu Rom enthält, in der Wurzel erkennen. Die Juden, mit welchen der heilige Paulus Apostelg. 28. in Absicht sie zu bekehren, umgeht, stehen dem Christentum so fern, als hätten sie nie von der weltberühmten Gemeinde zu Rom gehört: es ist, wie wenn die römische Christengemeinde mit den Juden längst schon fertig gewesen und ihren eigenen Gang gegangen wäre, und wie wenn andern Teils auch die zahlreichen römischen Juden, die sich nach dem Tode des Kaisers Claudius in der Weltstadt wieder angesammelt hatten, eine Verwandtschaft mit den zahlreichen Anbetern, die der Judenkönig zu Rom hatte, gar nicht mehr gespürt oder anerkannt hätten. Und doch gab es in der römischen Christengemeinde Leute, die in einer gewissen Weise judaisirten, und über das Verhältnis des alten und des neuen Testamentes nicht im Klaren waren, obwol man auf der anderen Seite wieder sagen muß, sie seien von den judaisirenden Christen im Morgenlande sehr verschieden gewesen. Bei der Verwandtschaft und zugleich Verschiedenheit dieser judaisirenden Christen zu Rom sind manche auf den Gedanken gekommen, es müßten diese römischen Unfreien und Asceten jüdische alttestamentliche Meinungen mit solchen vereinigt haben, welche aus dem Heidentum stammten. Wir lesen im fünften Vers des 14. Kapitels unsres Briefes, daß es in Rom Christen gegeben habe, die alle Tage für gleich geachtet, aber auch solche, die einen Tag dem andern vorgezogen hätten. Das scheint ganz der Gegensatz zwischen Juden- und Heidenchristentum zu sein. Dagegen lesen wir im zweiten Verse desselben Kapitels,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 012. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)