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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und von der schmählichen Unreinigkeit unsrer Begier. Der HErr, deß Leiden wir feiern, nahe sich also in unsern beiden Texten und reinige uns von allem Schmutz der Hölle und des Herzens. So gehen die beiden Texte am schönsten zu unserm Heile zusammen.

 Die Epistel paßt aber auch sehr wohl in die Passionszeit. Sehen wir den leidenden JEsus in der großen Arbeit begriffen, durch welche Er die Welt von Sünden reinigt; so fühlen wir uns Ihm gegenüber um so mehr; unsre Sündhaftigkeit und Unreinigkeit erweckt in uns Scham und Schmerzen, entzündet in unsern Seelen das Verlangen, Christi Arbeit zu genießen und rein zu werden durch Sein Blut. Vor allen andern Sünden aber erscheint uns die böse Lust des Fleisches und die elende Habsucht in den Leiden JEsu Christi ganz offenbar gerichtet. Da hängt Er am Kreuze, und Sein unaussprechlicher Schmerz des Leibes ist die Bezahlung unserer Wollustsünden; Seine völlige Verarmung aber, da Er auch nichts mehr hat den Leib zu decken, und keinen Ort mehr Sein Haupt hinzulegen, büßt unsre Begier nach Habe und Besitz. Schmerz und Armuth treten im Leiden JEsu so sehr hervor, daß vor andern Wollust und Habsucht als die Sünden erscheinen müßen, zu deren Büßung Er an’s Kreuz gestiegen ist. Es gibt größere Sünden als Wollust und Habsucht und der HErr büßt für die größeren wie für die kleineren; aber am augenfälligsten geschieht Sein Büßen für die beiden Sünden, weil bei Betrachtung der Leiden Christi auch dem oberflächlichsten Auge Schmerz und Armuth des Gekreuzigten am ersten begegnet, am offenbarsten geschaut wird. Da haben wir denn bei unserer eignen Passionsbuße Anlaß genug, den Kampf unsrer betenden Seelen gegen die zwei Sünden zu richten. Würden wir doch nur erst von ihnen rein! Käme uns doch nur zuallererst für sie Vergebung und Heilung, was für eine selige Fastenzeit wäre das! Lernten wir fasten und uns enthalten, nicht blos von Speise, sondern von aller unreinen Begier wider das sechste und siebente Gebot: was für eine große Läuterung, was für eine Erhörung, was für ein Segen unserer Seele wäre das! Möchte uns doch, meine lieben Brüder, die Betrachtung unseres Textes zu diesem Zwecke gesegnet sein, und während derselben der reinigende Geist des HErrn in uns große Arbeit thun und große Siege feiern.

 Auf seiner zweiten Missionsreise im Jahre 52 oder 53 nach Christo kam der Apostel Paulus in die macedonische Stadt Thessalonich, die heutzutage Salonichi heißt, und damals von vielen Griechen, Römern und Juden bewohnt war. Er gründete daselbst eine christliche Gemeinde, deren Glieder hauptsächlich aus griechischen Proselyten bestand. Da die Juden einen Aufruhr erregten, mußte Paulus die Stadt verlaßen, kam nach Beröa und dann nach Athen. Von da aus schickte er in großen Sorgen um die junge Gemeinde den heiligen Timotheus nach Thessalonich. Timotheus brachte ihm bald gute Nachricht nach Corinth, wohin sich der Apostel indes begeben hatte. Doch muß er ihm auch manches Ueble berichtet haben, von Ausschweifungen in der Wollust, von wieder hervorgetretenem Hange zu Betrügereien, von Fürwitz und Müßiggang mancher thessalonichischen Christen, die bei der Aussicht auf die nahe Wiederkunft des HErrn es für unnöthig fanden zu arbeiten. Da erließ denn noch im Jahre 52 oder 53 der Apostel seinen ersten Brief an die Thessalonicher, überhaupt den ersten unter den paulinischen Briefen, die wir besitzen. Der erste Theil dieses Briefes umfaßt die drei ersten Kapitel, in welchen er seinen Dank für die reich gesegnete Aufnahme des Evangeliums in Thessalonich ausspricht, die Gemeindeglieder an seinen Wandel unter ihnen erinnert, Gott für die Treue der Thessalonicher in der Verfolgung preist, sein Verlangen sie wieder zu sehen ausspricht, auch seine Freude über die von Timotheus erhaltenen guten Nachrichten, und endlich herzlich für sie betet. – Der zweite Theil des Briefes besteht aus den noch übrigen Kapiteln, dem vierten und fünften. In diesem Theile gibt der Apostel der Gemeinde die ihr nöthigen Ermahnungen. Die sieben ersten Verse des vierten Kapitels bilden unsern heutigen Text, der wie schon oben gesagt die Doppelermahnung zur Reinigkeit rücksichtlich des sechsten und siebenten Gebotes, voran aber zwei allgemein einleitende Verse enthält. Diese Verse ermahnen die Thessalonicher, im Guten immer völliger zu werden. „Uebrigens nun, Brüder, spricht St. Paulus, bitten und ermahnen wir euch in dem HErrn JEsus, nach dem Ihr von uns empfangen habt, wie ihr sollt wandeln und Gotte gefallen, daß ihr immer völliger werdet. Denn ihr wißet,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/187&oldid=- (Version vom 1.8.2018)