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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

nicht leben laßen sollte, Leute, die immer in der Strafe seien und in der Züchtigung, die ein trauriges Leben hätten, und des Jammers nicht los würden, elende Bettler, die sich in der Welt herum trieben, nichts hätten, und nichts zu Wege brächten“. Allerdings sind manche von diesen Namen an und für sich gar nicht ehrenrührig. So z. B. besaßen ja die Apostel wirklich nichts, und sollten nach Christi Sinn nichts haben. Aber das ist eben auch eine von den satanischen Künsten, einem unverfänglichen wahren Worte einen solchen Anstrich geben, daß es zu einem Vorwurf wird und wie eine Beleidigung aussieht. Es gehört auch wirklich zu den spitzigsten Stacheln der Seele, wenn sie mit der Wahrheit geschimpft wird. Das kann aber alles gar nicht anders sein. „Haben sie den Hausvater Beelzebub geheißen, was werden sie den Hausgenoßen thun.“ Ein Kind Gottes und ein Knecht Christi geben keinerlei Anstoß; sie suchen nichts mehr zu verhüten, als daß Amt und Bekenntnis verlästert werde. Gelingt es aber bei allem Fleiße nicht, so lernen sie das Uebel tragen, gewinnen eine schöne Fertigkeit darinnen, und bringen es am Ende so weit, daß sie sichs zur Ehre rechnen, ja daß sie sich freuen und jauchzen, wenn sie gewürdigt werden, um des Namen JEsu und um der Gerechtigkeit willen Schmach zu leiden. Frei und ungehudelt von der elenden Empfindlichkeit des eitlen alten Menschen, fühlen sie keine Schmerzen mehr bei den Stichen der Welt, wißen aus Lügen und Verleumdungen den Honig süßer Buße zu saugen, und gehen unter dem Koth und den Steinwürfen Simeis nicht blos mit David bekennend und reuend, sondern nach Christi Worten fröhlich und lustig über den Oelberg. „Freuet euch und jauchzt, spricht der HErr Matth. 5, 11. 12, wenn man euch schimpft und verfolgt und allerlei Böses wider euch sagt mit Lügen um meinetwillen; so verfolgten sie die Propheten vor euch auch, euer Lohn ist groß im Himmel.“ So sagt Christus, und St. Paulus ist ein gereifter, erfahrener Jünger in Christi Schule. Der hats gelernt, im Triumphton durch den Hagel feuriger Pfeile zu gehen. Es braucht dafür kein Zeugnis weiter, seine Worte im Texte singen es mehr als sie es sagen; denn das ist ein Gesang der verfolgten Knechte Gottes auf Erden, den man alternirend beten und singen kann: „Durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte, als Verführer und doch wahrhaftig, als unbekannte und doch weit berühmt, als Sterbende und siehe, wir leben, als Gezüchtigte und doch mit nichten ertödtet, als Traurige und doch immer voll Freuden, als Bettler, die aber viele reich machen, als die da nichts haben und doch am Ende alles besitzen.“ So geht man durch Dornen, durch Hecken, durch Wespen, durch Zungen, durch Ruthen; so geht man zur Ruh; so eilt man auf der Laufbahn zum Kleinod, so singt, so jauchzt, so triumphirt man, wenn man mit letzter Anstrengung das letzte Stück des Gipfels emporklimmt, das zu den Bergen und den Freuden der Kinder Gottes führt. Und das ist St. Pauli hehrer, preiswürdiger Gang und Weg.


 Es ist eine Gewohnheit der Menschen alles auf sich zu beziehen, und bei einer jeden Aeußerung, die über andere fällt, eine Vergleichung zu machen zwischen der Person, von welcher die Rede ist, und sich selbst. Unzählige Male kann man aus dem Munde derer, mit denen man umgeht, hören: „Ich möchte das nicht, bei mir ist es anders, ich bin nicht so u. s. w.“ Zwar könnte schon eine etwas größere Bildung von dieser Vergleichung aller Dinge mit sich, dieser Einmengung der eignen Person in alle Gespräche, befreien; allein wenn es gegen die Selbstsucht angeht, hat die Bildung schwere Arbeit, und wie in der Fabel die Eselsohren über die Löwenhaut, so ragt das eitle geckenhafte Ich, auch bei sonst gebildeten Menschen aus aller Bildung heraus. Und doch vergleicht sich der Mensch nach einer Seite hin mit andern zu wenig; nemlich mit beßeren als er selbst ist. So lange er hoffen kann, bei dem Vergleiche mit andern selbst zu gewinnen, vergleicht er. Strahlt ihm hingegen von irgend einer Person ein Licht entgegen, in Anbetracht deßen er gar zu gering erscheint, und in einen gar zu dunkeln Schatten tritt, so geht er weiter und sucht sich eine dem Hochmuth schmeichelndere Vergleichung auf. Etwas von der Art zeigt sich namentlich bei Betrachtung biblischer Charaktere, theilweise auch solcher Menschen, die erst nach den Aposteln in den ersten Jahrhunderten der Christenheit lebten. Diesen Charakteren läßt man ihren eigenthümlichen Werth, man räumt ihnen einen besonderen hohen Platz in der Gesellschaft ein, man läßt ihre Vortrefflichkeit so sehr gelten, daß man sich

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/184&oldid=- (Version vom 1.8.2018)