Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres | |
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soll zwischen Christus und Belial sein, oder was für Theil hat der Gläubige mit dem Ungläubigen“? Ist einer ein Kind Belials, so lobt ihn die ganze Kirche nicht, ist er aber ein Kind Gottes, oder gar wie St. Paulus ein strahlender Diener und Amtsträger Christi, so schäumt der ganze Abgrund und seine Synagoge wider ihn: das ist so, und darf nicht anders sein. Unerfahrene Neulinge im Christentum träumen sichs anders, um so mehr als sie ja wißen und fühlen, wie sie beßer werden. Kommt ihnen nun das Gegentheil zu Handen, so zuckt der Mundwinkel, bittre Zähren der Enttäuschung und tiefer Kränkung rinnen über die Wangen; manchen werden auch kleine Erfahrungen dieser Art so sehr zum Aergernis, daß sie an ihrem ganzen Christenwege irre werden. So haben sies ja nicht gemeint; wenns ihnen so geht, und sie so verkehrte Urtheile hinnehmen sollen, so scheints als wäre der Weg nicht recht, sie haben sich auf alles gefaßt gemacht, aber Anerkennung, Anerkennung, Anerkennung hat der eitle Thor im Herzen doch gehofft; und nun geht es ihm so! Sie wollen das Gute und streben darnach; da schiebt man ihnen böse Absichten unter, da werden sie verläumdet, Lügen werden von ihnen ausgesprengt, und zum Schrecken sehen sie, daß diese auch zum Theil geglaubt werden, nicht blos von Bösen, sondern gar von ihren Brüdern und Mitchristen. Da gehe nun einer hin und tröste solch ein eitles, hochmüthiges, brechendes Herz in seiner Aufregung und fieberhaften Wallung! Da wird man bald sehen, daß man eher die Fiebergluth der Phantasien eines Kranken, als das Hochmuth- und Eitelkeitsfieber eines Herzens zur Ruhe bringen kann, das nach Gottes Meinung auf diesem Wege seiner selbst los werden soll, nach seiner eignen Meinung aber diese Lection am wenigsten bedurft hätte. Dazu kommt noch die Macht angeerbter Vorurtheile und Sprichwörter. Die Sprichwörter der Alten gelten bei vielen wie eine Art von göttlicher Offenbarung, auf sie bezieht man selbst ein Sprichwort, nemlich: daß des Volkes Stimme Gottes Stimme sei. Und doch, was sind Sprichwörter? Erfahrungssätze und Witzworte, die in einem gewissen Kreise ihre Wahrheit und Geltung haben, aber zu Lügen werden, so wie man sie auf Alles und auf alle Fälle anwenden will. Zum Sprichwort gehört eine Grenze und überdies dazu ein Schlüßel, und wer das nicht beobachtet, kann sich selbst mit den besten Sprüchen, ja mit den Sprüchen Salomonis und Christi die Seele verwunden, wie Kinder mit dem Messer die Haut. Das gilt denn auch für die Zeit der Verläumdung und des Urtheils. Ein Gerücht wird ausgebreitet, ein Geschrei erhebt sich; der arme Mensch, den es betrifft, weiß nicht, wie ihm geschieht; Traurigkeit befällt ihn, und vollends verwirrt wird er, wenn ihn ein Sprichwort umschwärmt, wie im Sommer eine stechende Mücke. Das Sprichwort, das ich meine, ist so alt, daß es schon aus dem lateinischen stammt; es heißt: „Es bleibt immer etwas davon hängen“, oder: „Etwas ist immer daran“. Ist nun aber irgend ein Sprichwort übertrieben, misgeformt und misrathen, so ist es das. Es ist nicht wahr, daß immer etwas an jedem Gerüchte ist; der Teufel liebt es zwar, seinen Lügen durch Beimischung von ein wenig Wahrheit Glauben zu verschaffen, aber er ist auch frech genug, ein Gerücht geradezu aus der Luft zu greifen, und rein zu erdichten, denn er ist ein Lügner von Anfang. Kein größerer Mann seit der Apostel Zeiten, kein ernsterer Heiliger und verehrungswürdigerer Wohlthäter der Kirche, als der Patriarch Athanasius von Alexandrien. Den haben seine Feinde und zwar Christen, Lehrer, Bischöffe auf öffentlicher Kirchenversammlung angeklagt, er habe einem die Hand abgehauen, und mit einer Buhldirne gehurt. Hätte man denken sollen, daß so etwas in der Christenheit ohne Grund gesagt werden dürfte? Und doch wurde es gesagt. Es war so aus der Luft gegriffen, daß Athanasius den versammelten Bischöffen die Hand, welche er abgehauen haben, und den Menschen, welchem ers gethan haben sollte, lebendig vorzeigen konnte; daß er ihnen den handgreiflichen Beweis zu liefern vermochte, daß ihn die Buhldirne, die zur Stelle war, sogar nie gesehen hatte, und ihn weder kannte noch erkannte. Dennoch konnte man so etwas gegen den Mann aussprengen, auf deßen zwei offnen Augen damals die reine Lehre und die ganze Kirche stand. Wir brauchen aber gar keine Beispiele aus der Kirchengeschichte aufzuführen. Man sehe ganz einfach in den heutigen Text und sammele die Namen zusammen, mit denen man in der apostolischen Zeit Apostel zu betiteln wagte. Man nannte sie „Verführer, unbedeutende, unbekannte obscure Leute, dem Tod geweihte, Sterbende, die man
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/183&oldid=- (Version vom 1.8.2018)