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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

derselben durch Hinweisung auf die Größe der Lehrer, welche die Corinther hatten.

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 Die Begründung überwiegt die Ermahnung selbst durch die herrliche Ausführlichkeit ihres Inhalts und man könnte sich, zumal wenn man unsre Absicht hat, veranlaßt sehen, sich ganz allein an die Begründung zu halten, die Ermahnung Pauli aber als einen bloßen Eingang zu derselben zu behandeln. Indes haben wir dazu doch die Erlaubnis nicht, am allerwenigsten aber heute am ersten Sonntag in der vierzigtägigen Fastenzeit. Die alte Kirche hat bei ihrer Wahl des heutigen apostolischen Textes wohl schwerlich allein auf die Vergleichung gesehen, welche sich nach unsrem Eingang zwischen JEsus Christus und Seinen versuchten Aposteln und Dienern anstellen läßt. Sie hat die ersten beiden Verse des Textes, die Ermahnung Pauli, recht im Sinne ihrer Passionsfeier aufgefaßt. Die Passionsfeier der alten Zeit ist allerdings von der unsrigen vielfach verschieden, aber sie ist tief, ernst, reich und erstreckt sich auf alle die vierzig Tage, deren jeder zu einem Buß- und Bettag wurde; jeder hatte seine eignen Texte, jeder seine kirchliche Feier. Die vierzig Tage wurden durch Wort und Sacrament zu einer reichen Gnadenzeit. Auch war das Altertum von der Herrlichkeit und dem Segen seiner Quadragesima selbst so ergriffen, daß es kühn alle Heiden heraus forderte, etwas von der Art in allen andern Religionen aufzuzeigen. Es ist daher auch schwerlich eine bloße Wahrscheinlichkeit, wenn man behauptet, die uralte Kirche habe bei den zwei ersten Versen des Textes ganz eigentlich an die Gnade der Passionsfeier und an die Passionszeit gedacht. „Als Gottes Mitarbeiter ermahnen wir euch, die empfangene Gnade nicht vergeblich sein zu laßen“, sagt der Apostel; die Kirche aber bei ihrer Anwendung des Textes auf den heutigen Tag, denkt sich unter der Gnade, die nicht vergeblich sein und bleiben soll, zunächst nichts anderes, als die reiche Gnade ihrer Passionsfeier, in welcher sich alle Liebe Gottes in Christo JEsu der Gemeinde offenbarte und an’s Herz legte. Und wenn der Apostel im zweiten Verse den ersten weiter ausführt, und die Zeit beachten lehrt, indem er spricht: „Denn er sagt (Jes. 49, 8): In der angenehmen Zeit habe ich dich erhöret, und am Tage des Heiles habe ich dir geholfen; sieh nun ist die wohl angenehme Zeit, sieh nun ist ein Tag des Heils“; so deutet auch diesen Vers die textwählende Kirche auf die Passionszeit. St. Paulus, wie der Prophet Jesaias verstehen unter der angenehmen Zeit, unter dem Tage des Heils die Fülle der Zeit, die Zeit, da die Weißagung hinausgeht und JEsus Christus alle Hilfe bringt. Die Kirche aber bei ihrer Textwahl sieht in der angenehmen Zeit zunächst nur das Stückchen Zeit, das jedes christliche Geschlecht nach Gottes Willen zu seinem Heile zu durchleben hat, von dieser Lebenszeit aber wieder ganz besonders die feierliche Passionszeit: diese heißt die angenehme Zeit und der Tag des Heils, und die Kirche wollte mit den zwei ersten Versen unsres Textes, deren allgemeinerer Sinn durchaus nicht bestritten werden sollte, vor allem andern nur recht mütterlich auf alle die Gnade aufmerksam machen, welche in der reichen Feier dargeboten wurde, und die Christen ermahnen, diese Gnadenzeit recht ernstlich zu benutzen. – zugleich liegt in der Anwendung, die von dem Propheten Jesaia 49, 8 gemacht wird, eine Hinweisung auf die Nothwendigkeit des Gebetes, wenn man den Segen des Wortes und Sacramentes recht empfangen will. Gott hat in der angenehmen Zeit erhört, und am Tag des Heils geholfen. Da war also eine Hilfe nöthig gewesen und erfleht worden, und so begegnet man in allen Fällen der Hilfe und Heimsuchung am besten mit einem betenden Geist und einem stehenden Herzen. So viel Gnade es regne und so viel Kräfte der zukünftigen Welt uns überfluthen mögen, wir bleiben doch für ihren großen Segen verschloßen, wie Steine und Felsen und tragen keine Frucht, und es bleibt alle Gnade Gottes vergeblich, es sei denn, daß unser Herz seine Noth bußfertig fühle und betend sich zum innerlichen Empfang des göttlichen Segens bereite. Die geistliche Bereitung ist ein großes Stück der Gottseligkeit, die Gottseligkeit selbst aber hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens. – Damit habe ich euch, meine lieben Brüder, wie ich meine, die passionsmäßige Auffaßung der zwei ersten Textesverse gezeigt, und ich dürfte wohl dabei ohne Sorgen sein, ob euch in meinen Worten der allgemeinere Sinn St. Pauli nicht etwa mehr verborgen als enthüllt worden ist. Wer seine Zeit und immer am meisten jeden Theil von ihr, in welchem er gerade lebt,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/178&oldid=- (Version vom 1.8.2018)