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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

stellt und im ersten Verse des 14. Kapitels uns zuruft: „Jaget der Liebe nach“, so können wir doch nicht anders, als ihm völlig beistimmen, aufspringen vom Sitze unsrer Trägheit und der Liebe nachjagen, bis daß sie sich uns ergeben hat.

 Da geht der HErr im Evangelium von Galiläa die Jordan-Au hinab bis Jericho und von Jericho hinaus nach Jerusalem. Hier ist Sein Ziel und der Ort Seines Strebens, hier ist Golgatha, hier wird das große Opfer der heiligsten Bruderliebe dargebracht. Es ist ein Todesgang, auf welchem wir JEsum sehen, aber auch ein Liebesgang, denn die Liebe ist die Regentin auch in diesem Tode. Die Liebe treibt Ihn bis zu Seinem großen Wort: „Es ist vollbracht“, die Liebe bricht Ihm Aug und Herz, die Liebe treibt Seine Seele zu den andern körperlosen Seelen in’s Paradies, die Liebe öffnet Ihm wieder den Eingang in Seinen Leib, die Liebe verklärt den Leib, die Liebe bereitet Ihm eine Auferstehung, Liebe füllt die vierzig Tage nach der Auferstehung, Liebe trägt Ihn gen Himmel, Liebe regiert Ihn, wie Er hinwiederum die Welt regiert: Sein ganzer Gang ist Liebe, und Er Selbst, lauter Liebe ist Er; und wir? Können wir das Alles wieder einmal in der Fastenzeit vor uns vorübergehen sehen, ohne daß es auch uns warm um’s Herz wird, ohne daß wir aufwachen zur Nachfolge Deßen, der die Seinen geliebt hat bis an’s Ende? Können wir haßen, zürnen, geizen und ein Leben der Selbstsucht führen, während uns apostolische Worte von der Liebe predigen und der König der Ehren hehren Beispiels an uns vorübergeht? Ist niemand da, der sich in Liebe bereitet zur Fastenzeit, zur Passionszeit, zum Andenken JEsu? Ist’s nöthig, daß man auf Anathema Maharam Motha hinweist, wie auf einen in der Ferne grollenden Donner, der die Lieblosen richten, aber doch keine Liebe erwecken kann? Man kann doch nicht ohne Liebe bleiben, wenn St. Paulus von der Liebe predigt, wenn Deine Majestät, HErr JEsu, im Evangelium die Liebes- und Leidensverkündigung hält! HErr, ob man könnte, man will ja nicht. Wie der Hirsch schreit nach frischem Waßer, so schreit unsre Seele, o Liebe, nach Dir. Hörest Du nicht die Seufzer der Sehnsucht nach Dir, welche sich der Brust entwinden? Siehst Du, trocknest Du, verwandelst Du nicht die Sehnsuchtsthränen, nach Dir geweint, in Freudenthränen darüber, daß Du einkehrst und Wohnung bei uns machst? Du mit Deinen Wundmaalen, der Du die Liebe bist, erhöre uns und laß uns in der Gedächtniszeit Deiner Leiden Deiner Liebe voll werden. Kyrie Eleison, Christe Eleison, Kyrie Eleison.

Amen!




Am Sonntage Invocavit.

2. Cor. 6, 1–10.
1. Wir ermahnen aber euch, als Mithelfer, daß ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfanget. 2. Denn er spricht: Ich habe dich in der angenehmen Zeit erhöret, und habe dir am Tage des Heils geholfen, Sehet jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils. 3. Laßet uns aber Niemand irgend ein Aergernis geben, auf daß unser Amt nicht verlästert werde. 4. Sondern in allen Dingen laßet uns beweisen als die Diener Gottes, in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöthen, in Aengsten, 5. In Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhren, in Arbeit, in Wachen und Fasten, 6. In Keuschheit, in Erkenntnis, in Langmuth, in Freundlichkeit, in dem heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, 7. In dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch Waffen der Gerechtigkeit, zur Rechten und zur Linken; 8. Durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte; als die Verführer, und doch wahrhaftig; 9. Als die Unbekannten, und doch bekannt;
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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/175&oldid=- (Version vom 1.8.2018)