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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Amsdorf aber vertheidigte dagegen den Satz: Sie seien schädlich zur Seligkeit. Ohne Zweifel waren beide Sätze übertrieben. Wenn allein der Glaube die Hand ist, mit der wir die Seligkeit faßen und dem Sterbenden auch in der letzten Minute seines Lebens die Gnadenpforte noch offen stehen soll, wie das doch sein muß; so kann man allerdings nicht sagen: Die Werke seien zur Seligkeit nothwendig. Georg Major hat daher auch späterhin den von ihm aufgestellten Satz zurückgenommen und das gegebene Aergernis gesühnt. Umgekehrt aber, wenn die guten Werke die nothwendige Folge des wahren Glaubens sind, wie denn das mit hundert Stellen der heiligen Schrift bewiesen werden könnte, so kann man doch nicht sagen: Die guten Werke seien schädlich für die Seligkeit. Ein jeder kann leicht einsehen, was beide Theile gewollt haben und daß man auf beiden Seiten zu viel geredet hat. Aber wenn man die beiden übertriebenen Sätze gegen einander abwiegt, so ist doch der erste in seiner wahren Meinung leichter verständlich, während der andere, so wie er gesagt ist, fast Schaudern erregen könnte. Kein frommer Christ traut auf Werke, keiner auf seine innere Lebensstufe, auf seine Heiligung. Ein solches Vertrauen wäre ohne Zweifel schädlich für die Seligkeit, und der Grund, auf welchem es ruht, kann nur Blindheit, Mangel an Wahrhaftigkeit und Herrschaft der Lüge sein. Aber daß die Heiligen Gottes ohne falsches Vertrauen nach guten Werken trachten, nach Heiligung jagen, nach Vollendung ringen sollen, das ist die Lehre Christi und Seiner Apostel, des alten und des neuen Testamentes, der Kirche und ihrer Lehrer. Es wird niemand selig durch Heiligung, oder durch Werke; den guten Werken und den Stufen der Heiligung ist mancherlei Gnadenlohn verheißen, nirgends aber die Seligkeit selber, welche allein die Frucht und das Verdienst der Leiden unsers HErrn JEsus Christus ist und bleibt. Wenn aber auch die guten Werke die Seligkeit nicht schaffen, nicht geben, nicht fördern und mehren, so muß doch den bösen Werken und dem unbußfertigen ungeheiligten Zustand der Seele des Menschen eine mächtig hindernde Kraft der Seligkeit und des ewigen Lebens zugeschrieben werden; und wenn der Glaube der Seligkeit halben höher zu preisen ist, als die guten Werke, ja nicht einmal ein Vergleich zwischen beiden angestellt werden kann; so muß man doch zugestehen, daß die bösen Werke zu fürchten sind, fast wie der Unglaube, von welchem sie kommen wie vom Quell das Waßer. Ich will damit nicht gesagt haben, daß ein Mensch um seiner Unvollkommenheit, um seiner Schwachheit, um der Mangelhaftigkeit willen seiner Werke und seines innern und äußern Wandels verzagen müße oder solle. Es fällt mir nicht ein, die bangen geängsteten Seelen durch meine Worte in die Anfechtungen hinein zu stoßen, welche der Satan ohnehin so gern in ihnen wie ein verzehrendes Feuer anschürt. Unser Glaube wird in diesem unserm armen Leben selten eine solche Flamme, daß er das Gute in uns zur vollen Herrschaft brächte, und niemals eine solche Macht, daß er alles Böse in uns mit Samen und Frucht austilgen könnte. Es gilt daher auch für alle betrübten und geängsteten Christenseelen der feste und unüberwindliche Trost, daß die Gnade mächtiger ist, als die Sünde. Aber deshalb bleibt ja doch immer der Satz wahr und gewis, daß der Geist, der in uns den Glauben entzündet, auch die bösen Werke tödtet und aus dem Heerde des Glaubens hervor das Licht und die Glut der heiligen Liebe so gewis und sicher führt, als sich überhaupt von allem Feuer Licht und Wärme verbreitet. Mancher Mensch hat für seine Heiligung gewaltige Hindernisse von innen und außen, mehr und stärkere als andere; ein kleiner Erfolg des Glaubens bei ihm kann daher vor Gott größer sein, als bei andern ein größerer; aber ohne Erfolg, ohne allen Erfolg bleibt der Glaube nie und nirgends. Der Früchte können wenige sein, sie können langsam wachsen, aber vielleicht sind sie desto kostbarer, eine mehr werth, als viele andere, und wachsen, – irgend wachsen und zunehmen muß jedenfalls in der Seele, die Glauben in sich trägt, Heiligung, Tugend und gutes Werk. Es kann das Auge fehlen, die Früchte zu sehen, Gott selbst hält es vielleicht, damit der Mensch nicht sehe, was der Geist in ihm wirkt; es kann einer im Wahn dahin gehen, daß keine Frucht des Glaubens in ihm sei; aber da ist die Frucht überall, wo der Glaube ist, sie muß da sein, so wahr der Glaube ein Werk und eine Regung des heiligen Geistes in uns ist. Daher müßen wir auch die gute Frucht wollen, uns nach ihr ausstrecken, das Böse unabläßig bekämpfen, das Gute unermüdlich suchen, allezeit und wo möglich noch in der letzten Stunde darauf denken, wie wir den

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/156&oldid=- (Version vom 1.8.2018)