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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

gesegneten Beispiel St. Pauli das furchtbare Beispiel Israels an den Pforten der Passionszeit, und wen das eine Beispiel nicht zieht, den kann das andre schrecken. Laßt uns nun beide Beispiele mit einander betrachten. Der HErr aber gebe beiden und einem jeden von beiden seine Wirkung auf unsre Seelen.


I.

 In dem ganzen neunten Kapitel handelt der Apostel im Allgemeinen von dem Satz, den er einmal mit den Worten ausdrückt: „Ich habe es alles Macht, aber es frommt nicht alles,“ oder wie man allenfalls auch sagen könnte: die Liebe verbeut dem Menschen zuweilen ein Recht zu brauchen, das er hat. Diesen Satz, der eine so große Wahrheit in sich schließt, belegt er mit Beispielen, die er aus seinem eignen Leben nimmt. Er hat dasselbe Recht, welches alle Menschen, also auch alle Apostel haben und brauchen, nemlich von Beruf und Amt zu leben, und ebenso das Recht, eine Schwester, eine Christin, zum Weibe zu nehmen. Beide Rechte aber gebraucht er nicht. Er will nicht durch die Ehe in der unbeschränkten Ausübung seines apostolischen Berufes gehindert sein; was er im 7. Kapitel des 1. Corintherbriefs von der Jungfrauschaft gelehrt hat, das übt er selber. So will er auch nicht haben, daß irgend ein Boshafter aus dem Lohn, der ihm von seiner Berufesarbeit von den Gemeinen zu Theil würde, den Schluß ziehe, daß ihm das Predigtamt weiter nichts sei, als ein Nahrungszweig und ein Gewerbe. Darum nimmt er von den Gemeinden gar keinen Gehalt, sondern er predigt am Tage und arbeitet bei Nacht, um den Lebensunterhalt zu erwerben. Neben dem apostolischen Berufe treibt er das Gewerbe der Zeltweberei, damit er niemand mit Herbeischaffung seiner leiblichen Bedürfnisse beschweren müße. Diese Unabhängigkeit und Uneigennützigkeit nennt er seinen Ruhm, den er sich schwerer will nehmen laßen als das Leben, und das lediglich um deswillen, weil die Hauptabsicht seines Lebens ist: Seelen gewinnen. Dieser Absicht ordnet er alles unter, und im Streben nach diesem Ziele sucht er seine eigne Vollendung und völlige Heiligung. Er kann sich in alles fügen, in jede Lebenssitte, jede Lebensweise, jeden Genuß und jede Entbehrung, wenn er nur sein Ziel erreicht; er wird den Juden ein Jude, den Heiden ein Heide, den Schwachen ein Schwacher, und trägt und thut alles, was ohne Sünde getragen und gethan werden kann, um alle Menschenklassen, oder doch von allen Klassen etliche Menschen zu gewinnen. Seine Amtswirksamkeit und sein persönliches Leben fallen zusammen und decken einander; er hat nicht ein Privatleben und ein Amtsleben, die einander beide nicht berühren, sondern völlig getrennt sind, wie das so heut zu Tage bei vielen Hirten und Lehrern der Fall ist; er lebt ganz für sein heiliges Amt und in demselben, und das Amt wird ihm, wie bereits angedeutet, Schauplatz und Inbegriff aller seiner Tugend. Er ist also rein ein Arbeiter im Weinberg Gottes, und zwar Tag und Nacht, ununterbrochen, im Schlafen und Wachen. Er verschmäht keineswegs den Lohn, den ihm der HErr des Weinbergs verheißt; er redet im Gegentheil im 17. Vers unsers Kapitels geradezu vom Lohn, den er haben wird; aber dieser Lohn tritt ihm nichts desto weniger in den Hintergrund, und die Arbeit sammt ihrem Zweck und Ziele in den Vordergrund. Ja so sehr ist er in die Verfolgung seines Lebenszieles hingenommen und vertieft, daß ihm nicht der Lohn, sondern die Arbeit, nicht die Ruhe, sondern die Mühseligkeit Ziel und Lohn zu werden scheint. Wir werden das am klarsten erkennen, wenn wir den ersten Theil unsers Textes, und damit den Höhenpunkt des ganzen neunten Kapitels von Satz zu Satz betrachten.

 Im ersten Vers der Epistel vergleicht sich St. Paulus einem Wettläufer. Erwählt damit ein den Corinthern sehr verständliches Gleichnis. Sie waren ja Griechen und als solchen war ihnen der Wettlauf eine sehr bekannte Sache. Von einem Punkte aus, in einem und demselben Augenblicke, auf einer Laufbahn liefen da in den griechischen Kampfspielen viele Läufer nach einem Ziele hin; am Ziele aber winkte der Preis, ganz gering an zeitlichem Werthe, ein vergänglicher Kranz, aber reich an Ehren. Der werthlose Kranz zog daher den ehrsüchtigen Griechen mehr an als Schätze von Gold und Silber. Wie es scheint, wendet der heilige Apostel das Gleichnis mehr auf die Corinther an als auf sich selbst. Er redet sie ja an und ruft ihnen zu: „Laufet also, daß ihr das Kleinod, den Kampfpreis erreichet“. Ohne Zweifel hält er auch den Satz nicht ohne Absicht so allgemein. Er kehrt zu dem Zweck der beiden Kapitel zurück, der kein andrer ist, als den Corinthern darzulegen,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/151&oldid=- (Version vom 1.8.2018)